Marx und die Situationistische Internationale: revolutionäre Theorie als radikale Ideologiekritik

Die Gruppe Redes por la Autonomía Proletaria / Movimiento Anárquico por el Socialismo y la Autogestión aus Chile setzt sich in diesem Text mit dem Verhältnis der Situationistischen Internationale zum Marxismus und dem Begriff der Ideologie auseinander. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie sich das marxsche Denken zur einer Ideologie entwickelte und was für verschiedene Auffassungen dessen, was überhaupt unter Marxismus verstanden wird, es innerhalb der Arbeiter:innenbewegung gab. Kritisiert wird insbesondere die Auffassung des Marxismus, die sich im Rahmen der II. Internationale entwickelte und lange einen hegemonialen Status besaß. Die Abschaffung der Warengesellschaft, der Lohnarbeit, des Staats und der Klassenverhältnisse insgesamt geriet dadurch in den Hintergrund und ebnete den Weg für einen dogmatischen, fortschrittsoptimistischen Marxismus, der den Sieg des Proletariats als historische determinierte Notwendigkeit verstand und die Diktatur der Partei als notwendige Bedingung für die Etablierung einer kommunistischen Gesellschaft postulierte. Was daraus wurde, hat die Geschichte gezeigt. Die Reflexionen Debords in Die Gesellschaft des Spektakels sind Dreh- und Angelpunkt des vorliegenden Textes, doch auch die Gedanken von Lukács, Rubel, Tronti, Benjamin und Korsch zum Thema kommen zu Wort. In ihren Beiträgen spiegelt sich ein Auffassung des marxschen Denkens, das mit starren, ideologischen und dogmatischen marxistischen Traditionen bricht. Ähnlichkeiten und Differenzen zu den Überlegungen der Situationist:innen werden durch die Autor:innen des Textes immer wieder hervorgehoben. Der Text wurde 2009 in Chile geschrieben, 2018 ins Deutsche übersetzt und bis jetzt nirgendwo publiziert, weil die Übersetzung verloren ging. Ich habe mir, der besseren Lesbarkeit zuliebe, erlaubt Zwischentitel einzufügen und vieles, was im Fließtext in Klammern vorkam, in die Fußnoten zu setzen.

M. Lautréamont, Zürich, Winter 2023

 

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MARX UND DIE SITUATIONISTISCHE INTERNATIONALE: REVOLUTIONÄRE THEORIE ALS RADIKALE IDEOLOGIEKRITIK[1]

 

 

“Die wohlbekannte Maxime: «Ohne revolutionäre Theorie, keine revolutionäre Aktion» bedarf eine möglichst umfangreiche Interpretation, um zu ihrem wahren Gehalt zu gelangen. Was die proletarische Bewegung von allen früheren politischen Bewegungen unterscheidet – so wichtig sie auch gewesen sein mögen – ist, dass sie die Erste ist, die ein klares Bewusstsein über ihre Ziele und Mittel verfügt. In diesem Sinne ist die theoretische Arbeit nicht bloß ein Bestandteil der revolutionären Praxis. Sie ist vielmehr untrennbar mit der Praxis verbunden. Die theoretische Arbeit geht der revolutionären Praxis weder voraus noch folgt sie ihr: Beide entstehen simultan und bedingen sich gegenseitig [...]. Die revolutionäre Theorie kann ihre Gültigkeit nur bewahren, wenn sie ständig weiterentwickelt wird, wenn sie durch die Einbeziehung aller Errungenschaften des wissenschaftlichen Denkens und des menschlichen Denkens im Allgemeinen bereichert wird, und wenn sie vor allem die Erfahrung der revolutionären Bewegung aufnehmen kann. Dafür muss sie so oft wie nötig alle interne Veränderungen und Revolutionen miteinbeziehen, denen sie ausgesetzt ist und ihr von der Realität auferlegt werden. Die klassische Maxime macht daher nur Sinn, wenn sie so interpretiert wird: ‘Ohne die Entwicklung der revolutionären Theorie gibt es keine Entwicklung der revolutionären Aktion’.”[2] Präsentation der Zeitschrift Socialisme ou Barbarie, 1949.

S.I., Marxismus und Ideologie

“Man muss sich daran erinnern, dass die Bedeutung dieser Lehre sich vor allem aus der Position erschließt, die sie gegenüber denjenigen Ansichten einnimmt und erfüllt, gegen die sie sich anfänglich wandte, vor allem gegenüber allen Ideologien”. Antonio Labriola, Über den historischen Materialismus, 1899.

Eine der merkwürdigsten Entwicklungen innerhalb der Geschichte des Marxismus betrifft den Begriff der Ideologie, der bei Marx einen rein negativen Charakter hatte. Er sprach nie von einer “proletarischen Ideologie”. Nachdem sich jedoch in der II. Internationale der “Marxismus” herausgebildet hatte, sah sich der Begriff der Ideologie einer konstanten Veränderung ausgesetzt. Es kam zu mehrdeutigeren oder neutraleren Deutungen des Begriffs und Schlussendlich entwickelte sich eine positive Verwendung desselben – sehr präsent bei Lenin und Gramsci. Der Leninismus und der Stalinismus führten also dazu, dass der Marxismus selbst als Ideologie verstanden wurde. Dadurch ist die Verkehrung des Begriffs komplett abgeschlossen und wir können davon ausgehen, dass sie für Marx unverständlich gewesen wäre.

Heute, nach der Phase des Postmodernen Denkens, die fast zwei Jahrzehnte die akademische Welt dominierte, ist Marx wieder salonfähig. Es wird viel über Ideologietheorien und deren Entwicklung im Verlauf der Geschichte gesprochen: Zizeks[3] Auswahl an Texten ist weit bekannt und in Chile sind bereits zwei von Jorge Larraíns vier Bände zu diesem Thema erschienen[4]. Der situationistische Beitrag zu diesem Thema wird in zeitgenössischen Debatten dennoch kaum berücksichtigt, obwohl die S.I. zu ihrer Zeit einer der einzigen Strömungen war, welche die Rückkehr zur rücksichtslosen Kritik aller Ideologien forderte. Ausgangspunkt war die Kritik der reformistischen und/oder bürokratischen Rekuperation des kommunistischen und subversiven Denkens Marx’, das zur “offiziellen Ideologie der Arbeiter:innenbewegung” hochstilisiert wurde.

Die S.I. selbst betonte, dass ihre Auffassung der Ideologie sich von der des “real existierenden Marxismus” unterschied, der damals und für den größten Teil des 20. Jahrhunderts tonangebend war. Dabei hob die S. I. hervor, dass Marx’ Methode eine unerbittliche Kritik aller Ideologien beinhaltete. Doch wer anstatt Marx Stalin gelesen hatte, begnügte sich mit der Aussage: “Der Marxismus ist die beste aller Ideologien”. Die präziseste Darstellung der praktischen Konsequenzen dieser unterschiedlichen Auffassungen der Ideologie findet sich bei der These Nr. 124 der Gesellschaft des Spektakels, die eines der wichtigsten Kapitel des Buches schließt: “Das Proletariat als Subjekt und als Repräsentation”:

“Die revolutionäre Theorie ist jetzt jeder revolutionären Ideologie Feind und sie weiß, daß sie es ist.”[5]

Für die S. I. war die Sache ganz klar: Genau wie Marx, gingen sie davon aus, dass die erste Bedingung einer revolutionären Theorie, die kritische Zerstörung aller Ideologien ist.[6] Zur Zeit der S. I. (1957-1972), bestand die Aufgabe der revolutionären Theorie vor allem darin, die Ideologisierung des Denkens Marx’, die seit den Anfängen der Zweiten Internationale umsich griff – und auf deren Grundlage fast alle Varianten des dazumal existierenden Marxismus basierten – radikal anzugreifen.[7] Andere Strömungen der damaligen Zeit, schlugen einen ähnlichen Weg ein. Doch sie beriefen sich dabei auf einen “wahren”, orthodoxen, revolutionären oder authentischen Marxismus und kämpften gegen die “Verfälschung” desselben. Die Originalität der situationistischen Position liegt darin, dass sie den Marxismus selbst als ideologisierte Verzerrung der von Marx entwickelten proletarischen revolutionären Theorie verstanden. Der Einfluss Marx’ auf die S. I. war immer sehr stark. Sie wurden nicht müde Empfehlungen wie die folgende zu veröffentlichen:

IDIOTEN: IHR KÖNNT ES AUFHÖREN ZU SEIN. LEST MARX!

Dennoch war ihr Verhältnis zum “Marxismus” komplex. Man könnte sagen, dass sie im ersten Moment einen “revolutionärer Marxismus”[8] verteidigten und später zu einer viel kritischeren Position gelangten, die davon ausging, dass der Marxismus eine Deformation der Ideen Marx’ ist. In diesem Zusammenhang sagt die Antwort auf eine in der 9. Ausgabe der Zeitschrift Internationale Situationniste veröffentlichten Frage vieles aus. Auf die Frage, ob die Situationisten Marxisten sind, antworteten sie folgendermaßen:

“So sehr wie Marx, wenn er sagt: ‘Ich bin kein Marxist’”.[9]

Im längsten Kapitel von Die Gesellschaft des Spektakels namens “Das Proletariat als Subjekt und als Repräsentation” zeigt sich die situationistische Position gegenüber dem Marxismus am deutlichsten und am systematischsten. Debord entwickelt darin eine Art “Auswertung” der Klassenkämpfe der traditionellen Arbeiter:innenbewegung. Marx’ Rolle dabei wird sorgfältig analysiert. Seine Generation orientierte sich maßgeblich an der Philosophie Hegels, was u. a. auch an den Schriften von Bakunin und Stirner erkennbar ist. Doch das “Denken der Geschichte” der kommunistische Theorie musste sich mit Hegel, diesem düsteren philosophischen Denker und Legitimierer der Bürgerlichen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts, kritisch auseinandersetzen.[10] Eines der wenigen Zitate, das in Debords Buch als Zitat erkennbar ist – die S.I. verteidigte die kollektive Schöpfung und die freie Nutzung literarischer Quellen – und sich auf Hegels versöhnendes Denken mit dem Bestehenden bezieht, ist folgendes: “Sie drückt auch als Philosophie der bürgerlichen Revolution nicht den ganzen Prozeß dieser Revolution aus, sondern nur seinen letzten Abschluß. Sie ist insofern eine Philosophie nicht der Revolution, sondern der Restauration.”[11] Im selben Zug schreibt Debord: “Die Untrennbarkeit der Hegelschen Methode von der Marxschen Theorie ist selbst untrennbar von dem revolutionären Charakter dieser Theorie, d. h. von ihrer Wahrheit. Hierin ist diese erste Beziehung allgemein unbekannt geblieben oder mißverstanden oder sogar als die Schwäche dessen angeprangert worden, was trügerisch zu einer marxistischen Lehre wurde.”[12] Hierbei wird deutlich, wie nahe der “Marxismus” Debords an Hegel und Lukács ist. Wenig später schreibt er:

“Gerade die deterministisch-wissenschaftliche Seite im Marxschen Denken war die Bresche, durch die der Prozeß der ‘ldeologisierung’ noch zu seinen Lebzeiten eindrang, und um so mehr in das der Arbeiterbewegung hinterlassene theoretische Erbe. Die Ankunft des Subjekts der Geschichte wird noch auf später verschoben, und die geschichtliche Wissenschaft par excellence, d. h. die Ökonomie, strebt immer weitgehender darauf hin, die Notwendigkeit ihrer eigenen zukünftigen Negation zu garantieren. Aber dadurch wird die revolutionäre Praxis, die die einzige Wahrheit dieser Negation ist, aus dem Bereich der theoretischen Anschauung verstoßen. Daher gilt es, geduldig die wirtschaftliche Entwicklung zu studieren und noch das daraus erfolgende Leid mit einer Hegelschen Ruhe zu dulden, was im Resultat ‘Friedhof der guten Absichten’ bleibt. Man entdeckt, daß jetzt, der Wissenschaft der Revolutionen zufolge, das Bewußtsein immer zu früh kommt und belehrt werden muß. ‘Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war…’, sagt Engels 1895. Sein ganzes Leben lang hat Marx den einheitlichen Gesichtspunkt seiner Theorie aufrechterhalten, aber die Darlegung seiner Theorie hat sich auf den Boden des herrschenden Denkens begeben, indem sie sich in der Form von Kritiken besonderer Disziplinen, hauptsächlich der Kritik der grundlegenden Wissenschaft der bürgerlichen Gesellschaft, der politischen Ökonomie, präzisiert. Diese Verstümmelung, die später als endgültig akzeptiert wurde, hat den ‘Marxismus’ gebildet.”[13]

Genau wie die Genoss:innen von Socialisme ou Barbarie um 1965, erkennen Debord und die S.I., dass die Degeneration des Marxismus durch einen Ideologisierungsprozess hervorgebracht wurde, bei dem die revolutionäre Komponente unter dem positivistisch-wissenschaftlichen Aspekt dieser Theorie vollkommen zerschlagen wurde. Diese “wissenschaftliche” Achillesferse, durch die die Ideologie eindrang, war vielleicht unvermeidlich, wenn man den Kontext, d. h. die produktivistische Weltanschauung welche die ganze Zeit dominierte, berücksichtigt: “Der Mangel in der Marxschen Theorie ist natürlich der Mangel des revolutionären Kampfes des Proletariates seiner Epoche”.[14] Auch wenn es eine enge Verbindung zwischen Marx und dem wissenschaftlichen Denken seiner Zeit gibt, ist Marx’ Denken “jenseits” der Wissenschaft, denn nicht nur das rationale Verständnis der Kräfte, die in der Welt wirken, stehen im Fokus, sondern auch ihre aktive, unvollendete Transformation. Sein Projekt einer bewussten Geschichte, erfordert “ein Begreifen des Kampfes und keineswegs des Gesetzes”.[15] Aus diesem Grund waren in der marxistischen Theorie sowohl die Parteinahme für den Kampf des Proletariats (“die revolutionäre Klasse selbst”) als auch der Bezug zur Totalität von Anfang an das entscheidende Gegenmittel gegen die Tendenzen zur Mechanisierung, Fragmentierung und Positivisierung, die in der Konstitution des offiziellen Marxismus sich durchsetzten.

 

Lukács und der Begriff der Totalität

In der bis hier dargestellten Lesart kann Marx selbst kaum als “Begründer” des “Marxismus” oder der “marxistischen Lehre” angesehen werden, und wäre er es doch, dann gegen seinen eigenen Willen[16]. Vielmehr müsste seine Hinterlassenschaft als Beispiel und Warnung und nicht als ein Bündel aus Regeln verstanden werden. Wenn es stimmen sollte, dass die beste Schülerin von Marx bis jetzt Rosa Luxemburg war, dann sehen wir, dass für sie die “politischen” und die “methodischen” Aspekte untrennbar miteinander verbunden sind. Zugleich definieren diese Aspektein gewisser Weise das, was den “Marxismus” – oder wie auch immer wir diese proletarische, autonome, einheitliche, praxisorientierte Theorie nennen wollen – als einzigartigen und wertvollen, theoretischen als auch praktischen Beitrag, im Sinn einer emanzipatorischen Tradition, ausmacht. Lukács formuliert dies sehr deutlich, wenn er im Januar 1921 auf Rosas Marxismus verweist:

“Nicht die Vorherrschaft der ökonomischen Motive in der Geschichtserklärung unterscheidet entscheidend den Marxismus von der bürgerlichen Wissenschaft, sondern der Gesichtspunkt der Totalität […]. Der Gesichtspunkt der Totalität bestimmt aber nicht nur den Gegenstand, sondern auch das Subjekt der Erkenntnis. Die bürgerliche Wissenschaft betrachtet die Erscheinungen der Gesellschaft – bewußt oder unbewußt, naiv oder sublimiert – stets vom Standpunkt des Individuums. Und vom Standpunkt des Individuums kann sich keine Totalität ergeben, höchstens eines Teilgebietes, meistens aber nur Fragmentarisches: zusammenhangslose ‘Tatsachen’ oder abstrakte Teilgesetze”.[17]

Laut Lukács Bemerkungen über die “Akkumulation des Kapitals” – Rosa Luxemburgs Hauptwerk aus dem Jahr 1913 – ist es, wie sie selbst sagt, kein Zufall, dass die Verflachung des Marxismus bei Bernstein in einer bürgerlich-wissenschaftlichen Form zum Ausdruck kam, und es ist auch kein Zufall, dass Marx beschuldigt wurde ein “Blanquist” zu sein:

“Es ist kein Zufall, denn in dem Augenblick, wo der Gesichtspunkt der Totalität, der Ausgangspunkt und das Ziel, die Voraussetzung und die Forderung der dialektischen Methode fallen gelassen wird; in dem Augenblick, wo die Revolution nicht als Moment des Prozesses, sondern als isolierter, von der Gesamtentwicklung abgetrennter Akt aufgefaßt wird, muß das Revolutionäre von Marx als Rückfall in die primitive Periode der Arbeiterbewegung, in den Blanquismus erscheinen. Und mit dem Prinzip der Revolution, als Folge der kategoriellen Herrschaft der Totalität, zerfällt das ganze System des Marxismus.”[18]

Rosa Luxemburg erkannte ihrerseits in ihrer Schrift “Karl Marx” aus dem Jahr 1903, die sie zum zwanzigsten Todestag von Marx verfasste, dass sich der Marxismus nach Marx und Engels sehr wenig entwickelt hatte und dass das marxsche Vermächtnis “einen etwas restriktiven Einfluss auf die freie theoretische Entwicklung vieler seiner Schüler” ausgeübt hatte. Luxemburg erwähnt in einem Text, in dem sie sich auf einen Text von Karl Grün bezieht, bei dem die Schüler der zwei Meister des sogenannten “utopischen Sozialismus”, Saint-Simon und Fourier, verglichen werden, dass die Schüler:innen von Saint-Simon sehr kreative und interessante Beiträge geleistet hätten, während die von Fourier nur die Worte des Meisters wie Papageien wiederholten. Wie Grün selbst hierzu schrieb:

“Fourier gab der Welt ein fertiges System in all seinen Details, während Saint-Simon seinen Schülern ein Bündel an großartigen Ideen schenkte. Es besteht kein Zweifel daran, dass ein System von Ideen, das nur in seinen allgemeineren Merkmalen skizziert ist, viel anregender ist als eine fertige und symmetrische Struktur, die nichts hinzuzufügen lässt und den unabhängigen Bemühungen eines kreativen Geistes keinen Raum bietet.”[19] Man kann also klar unterscheiden zwischen denen, die versucht haben, “innerhalb der Grenzen des Marxismus” zu bleiben, und denen, die im Gegenteil entweder diesen “ismus” ablehnen oder den “Marxismus” als offen und kreativ betrachten.

 

Maximilien Rubel und Marx’ unvollendetes Projekt

In Bezug auf das bereits Erwähnte, unterschied Maximilien Rubel zwischen Marx und Marxismus. Er führte den Begriff “Marxologie” ein, um die enorme Anhäufung von Mystifizierungen, die um Marx herum von den selbsternannten “Marxist:innen” aufgebaut wurden, zu kritisieren.[20] In einem Text von 1972 mit dem Titel “Die Marx-Legende oder Engels als Begründer” schreibt Rubel über den “Marxismus”: “Dieser Begriff ist dermaßen degradiert worden, daß er nur noch ein mystifizierter Werbespruch ist. Er trägt seit seinem Ursprung das Stigma des Obskurantismus in sich. Marx hat sich wahrhaft Mühe gegeben, sie diesem vom Halse zu schaffen, als er in seinen letzten Lebensjahren, nachdem sein Ruf die um sein Werk errichtete Mauer des Schweigens durchbrochen hatte, die vernichtende Erklärung abgab: “Ich weiß nur dies, daß ich kein ‘Marxist’ bin!”[21].

In der Fußnote zu diesem Zitat, fasst Rubel die historischen Beweise für Marx’ Position zusammen.

“Engels präzisiert, daß Marx diese Erklärung im Hinblick auf den ‘Marxismus’ abgab, der um 1879-1880 ‘unter gewissen Franzosen’ grassierte, daß aber dieser Tadel ebensosehr einer Gruppe Intellektueller und Studenten im Schoß der deutschen Partei galt; sie und die ganze Presse der ‘Opposition’ trugen einen ‘krampfhaft verzerrten Marxismus’ zur Schau (vgl. den Brief von Engels an die Redaktion des Sozialdemokrat am 7. September 1890, veröffentlicht am 13. September). Über dieses in böser Vorahnung ausgesprochene, sarkastische ‘Bonmot’ von Marx berichtete Engels bei jeder sich bietenden Gelegenheit; (siehe seine Briefe an Bernstein, 3. November 1882; an C. Schmidt, 5 August 1890; an Paul Lafargue, 27. August 1890): ‘Alles was ich weiß, ist, daß ich kein Marxist bin!’ Der russische Revolutionär G. A. Lopatin, der Engels im September 1883 traf, unterhielt sich mit ihm über die revolutionären Perspektiven in Rußland. Der Bericht, den er einem Mitglied der Narodnaja Wolga gab, enthält folgende Passage: ‘Erinnern Sie sich daran, wie ich sagte, daß selbst Marx nie ein Marxist gewesen war? Engels erzählte, daß während des Kampfes gegen Brousse, Malon u. Co. gegen die anderen Marx einmal lachend gesagt hat: ‘Ich kann nur eins sagen, daß ich kein Marxist bin! …’ (Vgl. den Auszug eines Briefes von Loptain an N. Oschanina, 20. September 1883, in Marx-Engels, Werke, XXI, 1962, S. 489; übersetzt aus dem Russischen). Nicht gerade in scherzhaftem Ton indes unterrichte Marx anläßlich einer Reise nach Frankreich seinen Freund über seinen Eindruck von den sozialistischen Querelen bei den gleichzeitigen Kongressen in Saint-Etienne (‘Possibilisten’) und in Roanne (‘Guesdisten’) im Herbst 1882. Die ‘Marxistes’ und die ‘Anti-Marxistes’, schrieb er, ‘beide Sorten’ haben ‘ihr möglichstes getan, um mir den Aufenthalt in Frankreich zu verderben’ (an Engels, 30. September 1882).”

Neben dieser interessanten Anekdote, die verschiedene Interpretationen und Schlussfolgerungen zulässt, ist das zentrale Argument Rubels in seinem Buch “Marx Without Myth”, dass jeder Versuch den Werken Marx’ eine eindeutige Richtlinie zu geben und sie in eine fertige und selbständige “Doktrin” zu verwandeln, den Intentionen Marx’ nicht gerecht wird, zumal der von Marx bereits im Jahr 1857 bis in Detail formulierte lebenslange Forschungsentwurf aus 6 Segmenten bestand, von denen nur ein Teil partiell abgeschlossen wurde. Tatsächlich wies Marx in seinem berühmten Vorwort zum Beitrag zur Kritik der politischen Ökonomie vom Januar 1859, auf die “Reihenfolge” hin, in der er das System der bürgerlichen Ökonomie betrachten würde: “Kapital, Landbesitz, Lohnarbeit, Staat, Außenhandel, Weltmarkt”. Zu jener Zeit schrieb er die ersten beiden Kapitel des ersten Segments, die dem Kapital gewidmet waren (die Waren, das Geld oder die einfache Zirkulation), und verschob das dritte Kapitel (Kapital im Allgemeinen) auf später. Marx verstand dieses Werk, sein Projekt, als ein “künstlerisches Ganzes” innerhalb einer dialektischen Einheit. Die ersten drei Teile seines Werkes entsprachen den drei großen sozialen Klassen der Geschichte: Kapitalist:innen, Grundbesitzer:innen und Proletarier:innen. Was die anderen drei Teile anbelangt, so sagte Marx im Prolog, dass ihre Beziehung “offensichtlich” sei. In den Grundrissen erklärt er, dass dieser Teil seines Projekts sich der Analyse der “Synthese der bürgerlichen Gesellschaft unter der Form des Staates” widmen wird. Sie soll in ihrem Verhältnis zu sich selber betrachtet werden, sowie auch zu den “internationalen Produktionsbeziehungen” und der internationalen Arbeitsteilung, dem Weltmarkt und der Krise in der “die Produktion, genauso wie all ihre Momente, ein Ganzes bildet, in der aber gleichzeitig alle Widersprüche im Gange sind”. Der Weltmarkt ist sowohl die Annahme als auch der Eckpfeiler des Ganzen: “Die kapitalistische Produktion basiert auf dem Wert oder der Entwicklung der Arbeit, die im Produkt als soziale (Arbeit) enthalten ist. Dies ist aber nur auf der Grundlage des Außenhandels und des Weltmarktes möglich. Dies ist also sowohl eine Annahme als auch das Ergebnis kapitalistischer Produktion”.[22]

Die unvollendete Natur seiner Forschung[23] führt uns zur Feststellung, dass der so genannte “Marxismus” nur dann richtig verstanden werden kann, wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine Reihe von Themen handelt die es zu erforschen gilt, und um eine Methode die kreativ entwickelt werden muss – und natürlich als Positionierung für das (selbst) bewusste Proletariat und den Kommunismus.[24] Anders verstanden – vor allem als “Ideologie” – sind die Ergebnisse des “Marxismus” katastrophal. Neben dem unvollendeten Charakter des marxschen Werks[25] sind bestimmte unfreiwillige Verzerrungen die Grundlage des offiziellen “Marxismus”: Wir wissen, dass dieser Marxismus von Theoretiker:innen und Fachleuten errichtet wurde, die grundlegende Werke von Marx nicht zur Verfügung hatten, da sie lange Zeit unveröffentlicht blieben. Die Unkenntnis über Texte wie “Die deutsche Ideologie” zum Beispiel, muss einer der ausschlaggebenden Faktoren für den Verlust des negativen Bezugs zur Ideologie gewesen sein, der das marxsche Denken charakterisierte. So entstand in den Laboratorien der II. und III. Internationale eine verkehrte Form des Marxismus. Aber lassen wir zunächst einmal die Frage beiseite, ob es im Gegensatz zu den von Marx verachteten “Marxisten” sinnvoll wäre die Existenz eines “wahren”, “reinen” oder “authentischen” Marxismus zu verteidigen, wie die meisten Marxist:innen bis heute glauben. Wichtiger ist es zu analysieren wie der sozialdemokratische “Marxismus” zur Zeit der II. Internationale entstanden ist, was seine Hauptmerkmale und sein Verhältnis zur marxschen kritischer Theorie ist. Zu diesem Zwecke werden wir uns einer weiteren Strömung der 1960er Jahren zuwenden, welche die Entwicklung der revolutionären Theorie, unter den neuen Bedingungen der kapitalistischen Entwicklung jener Jahre, vorantrieb. Wir sprechen vom dem italienischen Operaismus.

 

Tronti, “Vulgärmarxismus” und die Sozialdemokratie

Zum einen unterscheidet sich Mario Trontis Auffassung des Marxismus von der situationistischen/debordianischen Auffassung, denn Tronti spricht weiterhin von einem “authentischen” Marxismus, mit stark leninistischem Einfluss. Zum anderen sind dennoch Parallelen zwischen beiden Positionen auszumachen. Für Tronti war eines der gravierendsten Probleme der damaligen Zeit, der durch die reformistische Praxis der “Arbeiter:innenbewegung” hervorgerufene “Vulgärmarxismus”. Im Text “Marx, gestern und heute”[26] schreibt er, dass sich der Klassenkampf auch in einem Konflikt zwischen “Arbeitertheorie” und “bürgerlichen Ideologien” ausdrückt. Für ihn ist “Eine Ideologie [...] immer bürgerlich, denn sie ist immer ein mystifizierter Reflex des Klassenkampfes auf dem Boden des Kapitalismus”. Wenn die Ideologie im Allgemeinen bürgerlich ist, ist “eine Ideologie der Arbeiterklasse immer reformistisch”, und diejenigen die den Marxismus “als die Ideologie der Arbeiterbewegung” verstehen, begehen deshalb einen schwerwiegenden Fehler: “Marx ist nicht der Ideologe der Arbeiterbewegung, er hat ihre revolutionäre Theorie geschaffen. Eine Theorie, die als Kritik der bürgerlichen Ideologie entstanden ist und die tagtäglich als ‘erbarmungslose Kritik alles Bestehenden’ weiterbestehen muss.” Für Tronti drückt diese Arbeiter:innenideologie, die notwendigerweise reformistisch ist, die Tatsache aus, dass “die Arbeiterbewegung selbst [...] Teil des passiven Ausdrucks der kapitalistischen Entwicklung geworden ist”. Der Vulgärmarxismus hat als Voraussetzung und Resultat die “vulgäre Politik” der reformistischen Arbeiter:innenbewegung. Daher besteht ein wesentlicher Teil der kommunistischen Tätigkeit darin, den Marxismus auf marxistische Weise zu entmystifizieren/de-ideologisieren. Diese Kritik findet innerhalb der Arbeiter:innenbewegung selbst statt, sie muss sich aber “immer als äußerer Kampf gegen den Klassengegner” ausdrücken. Deshalb muss für Tronti die Kritik am Marxismus in erster Linie als Kampf gegen das bürgerliche Denken verstanden und geäußert werden.[27] Obwohl der Begriff “Vulgärmarxismus” etwas irreführend ist,[28] hat das, was Tronti betont, tatsächlich Gemeinsamkeiten mit dem, was Debord 1967 schrieb:

“Der ‘orthodoxe Marxismus’ der II. Internationale ist die wissenschaftliche Ideologie der sozialistischen Revolution, die ihre ganze Wahrheit mit dem objektiven Prozeß in der Wirtschaft und mit dem Fortschritt einer Anerkennung dieser Notwendigkeit in der von der Organisation erzogenen Arbeiterklasse identisch setzt. Diese Ideologie findet das Vertrauen in die pädagogische Beweisführung wieder, das den utopischen Sozialismus charakterisiert hatte, ergänzt es aber durch eine kontemplative Bezugnahme auf den Lauf der Geschichte: eine derartige Haltung hat jedoch ebenso die Hegelsche Dimension einer totalen Geschichte wie auch das unbewegliche Bild der Totalität verloren, das in der utopischen Kritik (am stärksten bei Fourier) vorhanden war. Aus einer solchen wissenschaftlichen Haltung, der natürlich nichts anderes übrigblieb, als zumindest symmetrische sittliche Alternativen wiederzubeleben, stammen die Albernheiten Hilferdings, wenn er präzisiert, daß die Anerkennung der Notwendigkeit des Sozialismus keine ‘Anweisung zu praktischem Verhalten ist. Denn etwas anderes ist es, eine Notwendigkeit zu erkennen, etwas anderes, sich in den Dienst dieser Notwendigkeit zu stellen’ (Das Finanzkapital). Diejenigen die verkannt haben, daß für Marx und das revolutionäre Proletariat das einheitliche geschichtliche Denken von einer anzunehmenden praktischen Haltung nicht zu unterscheiden war, mussten normalerweise Opfer der Praxis werden, die sie gleichzeitig angenommen hatten”.[29]

Angesichts der – durch die Sozialdemokratie vermittelte – vorherrschenden Lesart des Marxismus, versteht sich, wieso Lukács’ in “Geschichte und Klassenbewusstsein” auf einem Marxismus beharrt, der nicht durch die Gültigkeit dieses oder jenes Dogmas definiert ist, sondern durch die dialektische und revolutionäre Methode, die “zwischen Bewusstsein und Realität” eine Beziehung herstellt, die die “Einheit zwischen Theorie und Praxis” ermöglicht. Im selben Sinne können wir auch die Definition von Karl Korsch und der deutschen Rätekommunist:innen verstehen, die sich für einen “praktischen Sozialismus” aussprachen. Interessant ist bei Lukács, dass er den “revolutionären Marxismus” gegen den Marxismus der Sozialdemokratie verteidigte und ihn zu diesem Zwecke als “orthodox” neu definieren musste. Als Korsch hingegen 1935 im Text “Warum ich Marxist bin”, erklärte warum er Marxist war, beteuerte er, dass es so etwas wie einen “allgemeinen Marxismus” nicht gibt:

“Anstatt den Marxismus im Allgemeinen zu diskutieren, schlage ich vor, gleich auf einige der wirksamsten Punkte der marxistischen Theorie und Praxis einzugehen. Nur ein solcher Ansatz entspricht dem Prinzip des marxistischen Denkens. Für den Marxisten gibt es so etwas wie einen “Marxismus” im Allgemeinen ebenso wenig wie eine “Demokratie” im Allgemeinen, eine “Diktatur” im Allgemeinen oder einen “Staat” im Allgemeinen.”[30]

Die objektivistische und evolutionäre Passivität der sozialdemokratischen Theorie wirkte sich auch auf die Konzeption des politischen Handelns aus, mit der Überzeugung, dass sich Intellektuelle außerhalb der Arbeiter:innenklasse der “Erziehung” derselben widmen sollten:

“Die Ideologie der sozialdemokratischen Organisation stellte sie unter die Gewalt der Lehrer, die die Arbeiterklasse erzogen, und die angenommene Organisationsform war die adäquate Form dieser passiven Schulung. Die Teilnahme der Sozialisten der II. Internationale an den politischen und wirtschaftlichen Kämpfen war ohne Zweifel konkret, aber zutiefst unkritisch. Sie wurde im Namen der revolutionären Illusion, gemäß einer offenbar reformistischen Praxis geführt. So sollte die revolutionäre Ideologie gerade durch den Erfolg derer zerschlagen werden, die ihre Träger waren. Die Absonderung der Abgeordneten und der Journalisten in der Bewegung verleitete diejenigen, die ohnehin schon unter den bürgerlichen Intellektuellen abgeworben worden waren, zur bürgerlichen Lebensweise. Die Gewerkschaftsbürokratie machte gerade diejenigen, die aus den Kämpfen der Industriearbeiter heraus abgeworben und aus ihnen herausgezogen worden waren, zu Maklern der als Ware zu ihrem gerechten Preis zu verkaufenden Arbeitskraft. Damit ihrer aller Tätigkeit etwas Revolutionäres behalten hätte, wäre es erforderlich gewesen, daß der Kapitalismus in diesem Moment außerstande gewesen wäre, diesen Reformismus den er politisch in ihrer legalistischen Agitation tolerierte, wirtschaftlich zu tragen. Eine solche Unverträglichkeit wurde von ihrer Wissenschaft gesichert und von der Geschichte jederzeit widerlegt”.[31]

Aber was war die “Sozialdemokratie” historisch gesehen? Marx selbst bezeichnete sie als einen “historischen Kompromiss” zwischen dem Proletariat und der Kleinbourgeoisie gegen Mitte des 19. Jahrhunderts: “Den sozialen Forderungen des Proletariats ward die revolutionäre Pointe abgebrochen und eine demokratische Wendung gegeben, den demokratischen Ansprüchen des Kleinbürgertums die bloß politische Form abgestreift und ihre sozialistische Pointe herausgekehrt. So entstand die Sozial-Demokratie”.[32] Angesichts einer solchen Herkunft ist es nicht verwunderlich, dass der kleinbürgerliche und antiproletarische Charakter der sozialdemokratischen Theorie und Praxis sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verstärkte. Es genügt beispielsweise die Entwicklung zu betrachten, die der folgende Satz Marx’ erfuhr: “Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.”[33] Im Jahre 1922 hielt es Kautsky aufgrund der jüngsten historischen Erfahrungen für notwendig, Modifikationen vorzunehmen, bis aus Marx’ Satz Folgendes wurde: “Zwischen der Phase des demokratischen Staates, der rein bürgerlich regiert wird, und der Zeit des rein proletarischen Regierens gibt es eine Periode der Transformation von einem zum anderen. Ihm entspricht auch eine politische Übergangsphase, deren Regierung tatsächlich eine Form der Koalitionsregierung sein wird”.[34]

 

Walter Benjamin und die Revolution als Notbremse

Dieser offizielle “Marxismus” – starr, vereinfacht und von einer Gruppe von Professor:innen zusammengestellt, die zur Erziehung der Klasse berufen wurden – enthält mehrere “vergiftete Gaben” (Progressivismus, Evolutionismus, Szientismus, Staats- und Arbeitskult), die von einem so atypischen und herausragenden “historischen Materialisten” wie Walter Benjamin in “Über den Begriff der Geschichte” mit einzigartiger Präzision festgehalten wurde:

“Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst. Bei Marx tritt sie als die letzte geknechtete, als die rächende Klasse auf, die das Werk der Befreiung im Namen von Generationen Geschlagener zu Ende führt. Dieses Bewußtsein, das für kurze Zeit im ›Spartacus‹ noch einmal zur Geltung gekommen ist, war der Sozialdemokratie von jeher anstößig. Im Lauf von drei Jahrzehnten gelang es ihr, den Namen eines Blanqui fast auszulöschen, dessen Erzklang das vorige Jahrhundert erschüttert hat. Sie gefiel sich darin, der Arbeiterklasse die Rolle einer Erlöserin künftiger Generationen zuzuspielen. Sie durchschnitt ihr damit die Sehne der besten Kraft. Die Klasse verlernte in dieser Schule gleich sehr den Haß wie den Opferwillen. Denn beide nähren sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Ideal der befreiten Enkel”.[35]

Weiter schrieb Benjamin:

“Die sozialdemokratische Theorie, und noch mehr die Praxis, wurde von einem Fortschrittsbegriff bestimmt, der sich nicht an die Wirklichkeit hielt, sondern einen dogmatischen Anspruch hatte. Der Fortschritt, wie er sich in den Köpfen der Sozialdemokraten malte, war, einmal, ein Fortschritt der Menschheit selbst (nicht nur ihrer Fertigkeiten und Kenntnisse). Er war, zweitens, ein unabschließbarer (einer unendlichen Perfektibilität der Menschheit entsprechender). Er galt, drittens, als ein wesentlich unaufhaltsamer (als ein selbsttätig eine grade oder spiralförmige Bahn durchlaufender). Jedes dieser Prädikate ist kontrovers, und an jedem könnte die Kritik ansetzen. Sie muß aber, wenn es hart auf hart kommt, hinter all diese Prädikate zurückgehen und sich auf etwas richten, was ihnen gemeinsam ist. Die Vorstellung eines Fortschritts des Menschengeschlechts in der Geschichte ist von der Vorstellung ihres eine homogene und leere Zeit durchlaufenden Fortgangs nicht abzulösen. Die Kritik an der Vorstellung dieses Fortgangs muß die Grundlage der Kritik an der Vorstellung des Fortschritts überhaupt bilden.”[36]

Benjamins “Marxismus” fungiert als effizientes Gegenmittel gegen den progressiven Evolutionismus, der zu Marx’ Zeiten einen hegemonialen Status besaß und der, in seinen beiden Hauptversionen, den Kern des offiziellen Marxismus bildet. Darüber hinaus nimmt sein Bezug auf “Ketzer” wie Blanqui und Fourier, in gewisser Weise die zukünftige revolutionäre Theorie vorweg, die Jahrzehnte später die Situationist:innen versuchen würden wieder auferstehen zu lassen. Deshalb ist es notwendig Benjamin aus dem akademischen Sumpf zu befreien und ihn als einen der größten revolutionären Denker des 20. Jahrhunderts und als einer der einzigen “Marxisten” zu bezeichnen, der sich sogar der Kritik des eigentümlichen Zeitgefühls des Systems der Warenproduktion zuwandte. Eine Kritik mit tiefgreifenden Implikationen für den Begriff der Revolution. Er zögert in diesem Sinne nicht Marx zu korrigieren: Die Revolution ist nicht die Lokomotive der Geschichte, sondern der Moment, in dem die Passagiere die Panik überwinden und die Notbremse betätigen.

 

Karl Korsch, die Degeneration des Marxismus und die S.I.

Bis hier stimmten die meisten marxistischen Strömungen, die sich selbst als anti-dogmatisch und revolutionär bezeichneten, mit der Kritik des von der Sozialdemokratie entworfenen Marxismus überein[37]. Sie vollzogen einen Bruch mit der Sozialdemokratie, grenzten sie gegen den leninistischen Kommunismus, zumindest jenen der ersten Epoche, ab. Letzteren hielten sie für die Aktualisierung und Neubelebung der authentischen revolutionär-marxistischen Tradition. Noch Anfang der 1920er Jahre schrieb Korsch,[38] dass die Geschichte des “Marxismus” in drei großen Phasen verstanden werden könne: 1. Die kreativen Arbeiten von Marx und Engels; 2. die Degeneration des Marxismus in der II. Internationale; 3. die Wiederherstellung des echten Marxismus durch Lenin und Luxemburg.[39] Unserer Meinung nach sollte die Konsolidierung des “Marxismus-Leninismus” als vierte Phase betrachtet werden, sprich als zweite Degeneration des “Marxismus”, der mittels der “Ideologisierung”, die neue marxistische Orthodoxie zementierte.[40]Tatsächlich wurde der größte Teil der Mängel oder der “vergifteten Gaben”, die bereits in der ersten großen Deformation des “Marxismus” vorhanden waren fast vollständig und ohne größere Modifikationen auf die zweite Phase der Deformation übertragen. Denn der Marxismus-Leninismus, einschließlich aller Varianten desselben (Trotzkismus, Stalinismus, Maoismus, Castro-Guevarismus), konstituierte sich historisch als eine radikale Folgeerscheinung der linken Sozialdemokratie. Trotz der intensiven Diskussionen über den Imperialismus und über Krisentheorien, bezog sich die Hauptdiskrepanz zwischen der ersten und der zweiten Degenerierung des “Marxismus” auf die Ebene des politischen Handelns. So blieb der Großteil der sozialdemokratischen Theorie, also der evolutionäre, lineare und objektivistische Marxismus, der für Professor:innen und Ideolog:innen typisch ist, nahezu vollständig erhalten.[41] Debord äußerte sich hierzu, im Kapitel über das Proletariat, ziemlich deutlich: “Lenin war als marxistischer Denker nur der konsequente und treue Kautskyaner, der die revolutionäre Ideologie dieses ‘orthodoxen Marxismus’ unter den russischen Bedingungen anwandte, die die reformistische Praxis nicht zuließen, welche im Gegenteil von der II. Internationale durchgeführt wurde”.[42] Nach der Machtergreifung durch die Partei der ‘Berufsrevolutionär:innen’ übernahm die Ideologie neue Funktionen in der Verwaltung des Staatskapitalismus: “Die revolutionäre Ideologie, d. h. die Kohärenz des Getrennten – dessen größte voluntaristische Anstrengung der Leninismus bildet -, die die Verwaltung einer Realität innehat, die sie abweist, wird mit dem Stalinismus wieder zu ihrer Wahrheit in der Inkohärenz gelangen. In diesem Augenblick ist die Ideologie keine Waffe mehr, sondern ein Ziel. Die Lüge, die nicht mehr widerlegt wird, wird zum Wahnsinn.”[43]

In Anlehnung an Korschs Schema ist darauf hinzuweisen, dass die unterschiedlichen hier aufgelisteten Positionen den Übergang der ersten zur zweiten Phase der Degeneration des “Marxismus” unterschiedlich bewerten. Während Debord und Rubel zwischen Marx und Marxismus unterscheiden, wobei sie den Marxismus selbst als Deformation des marxschen Denkens und Handelns verstehen, akzeptiert Korsch, indem er die zweite Phase als “Degeneration des Marxismus” bezeichnet, dass es in den “schöpferischen Werken von Marx und Engels” bereits einen authentischen Marxismus gibt.[44] Korschs Position – zumindest in diesem Stadium seines Werkes – deckt sich mit der von Lukács und Tronti (im Gegensatz zu Debord und Rubel, waren beide erklärte Leninisten). Offensichtlich ergeben sich aus der Auffassung des Marxismus in seiner ersten oder zweiten Form, auch zwei verschiedene Bedeutungen für dass, was unter “Marxist:innen” verstanden wird.[45]

Was die Auffassung der Revolution angeht, die, wie wir gesehen haben, für Benjamin keine Beschleunigung des Fortschritts, sondern die “messianische” Unterbrechung desselben ist, formuliert Debord eine tiefgründige Kritik an Marx. Letzterer war gewillt die Etablierung einer “proletarischen Macht” durch “wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten” zu begründen und versuchte “ein lineares Bild der Entwicklung der Produktionsweisen aufzustellen, die von Klassenkämpfen mitgerissen wird, welche angeblich jedes mal ‘mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft [...] oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen’ enden”.[46] Doch in Wirklichkeit “wurden auch weder die Barone von den Aufständen der Leibeigenen, noch die Freien von den Sklavenrevolten des Altertums je besiegt. Im linearen Schema ist zunächst die Tatsache aus dem Blickfeld entschwunden, daß die Bourgeoisie die einzige revolutionäre Klasse ist, die jemals gesiegt hat und daß sie zugleich die einzige Klasse ist, für die die Entwicklung der Wirtschaft Grund und Folge ihrer Beschlagnahme der Gesellschaft war”.[47] Aufgrund dessen sah sich laut Debord “Marx dazu verleitet, die wirtschaftliche Rolle des Staates bei der Verwaltung einer Klassengesellschaft zu vernachlässigen”.[48] Daraus folgt zugleich, dass dem Staat, in Bezug auf die proletarische Revolution, eine falsche Rolle zugesprochen wurde. Denn die proletarische Revolution, basiert zwar auf dem Projekt der bürgerlichen Revolution, muss sich aber qualitativ von dieser unterscheiden: “Die Bourgeoisie ist zur Macht gelangt, weil sie die Klasse der sich entwickelnden Wirtschaft ist. Das Proletariat kann seinerseits die Macht sein, aber nur wenn es zur Klasse des Bewußtseins wird. Das Reifen der Produktivkräfte kann eine solche Macht nicht garantieren, und dies auch nicht auf dem Umweg der gesteigerten Enteignung, die dieses Reifen begleitet. Die jakobinische Eroberung des Staates kann nicht das Instrument des Proletariats sein. Keine Ideologie kann ihm helfen, Teilzwecke in Gesamtzwecke zu verkleiden, denn es kann keine Teilrealität aufbewahren, die ihm tatsächlich gehörte”.[49]

Im Hinblick auf die Situationistische Internationale und die Art und Weise, wie sie den Begriff der Ideologie verwendet haben, lässt sich in diesem Sinne festhalten:

- Die S.I. kehrte zu Marx zurück. Sie unterschied sich jedoch in diesem Rückgriff qualitativ von dem seit über einem Jahrhundert geprägten “Marxismus” der Sozialdemokratie (egal ob die reformistisch/evolutionistische oder die radikal/voluntaristische Variante). Die S.I. verkörperte eine kritische proletarisch-kommunistische Theorie, die sich unerbittlich der Aufgabe zuwandte alle bestehenden Ideologien zu zerstören.

- Es gab innerhalb des “Marxismus” bestimmte “Wissenschaftler:innen”, die mittels ungeschickter bürokratischer Methoden darum gewillt waren Marx’ unveröffentlichte Werke zu verbergen oder zu verleugnen. Zugleich vollzogen sie eine strenge Unterscheidung zwischen einem philosophischen “jungen Marx” und einem “reifen”, “wissenschaftlichen”, der politischen Ökonomie zugewandten Marx. Die Auffassung der Ideologie seitens der Situationist:innen hingegen, war durch die Feststellung gekennzeichnet, dass Marx’ Werdegang durch ein Interesse an verschiedenen Themengebieten gekennzeichnet war, und dass er in seiner Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Problemen niemals den “einheitlichen Standpunkt” oder besser gesagt die Perspektive der Totalität aufgab. Im Gegensatz hierzu, finden wir Althussers berühmte Position in “Ideologie und ideologische Staatsapparate”: “Alles schien Marx in die Richtung zu drängen, eine Theorie der Ideologie zu formulieren. In der Tat bietet die Deutsche Ideologie, nach den Manuskripten vom 44, eine explizite Theorie der Ideologie, jedoch ist diese, wie wir gleich sehen werden, nicht marxistisch […]. Was das Kapital betrifft, so enthält es zahlreiche Hinweise für eine Theorie der Ideologie (wovon die Ideologie der Vulgärökonomen die sichtbarste ist), es enthält jedoch nicht diese Theorie selbst…”.[50] E.P. Thompson hatte völlig Recht, als er Althusser und seine Schüler:innen auf ironische Art und Weise als “marxistischer als Marx” bezeichnete. Es ist nicht überraschend, dass die meisten von ihnen später den Marxismus aufgaben und sich dem postmodernen Denken zuwandten. Im gleichen Sinne bekräftigt Dussel, dass “für Althusser jeder hegelianische Text von Marx nicht ‘marxistisch’ ist. Hätte er jedoch die Schriften Marx’ sorgfältig gelesen, hätte er festgestellt, dass der Hegelianismus im “alten Marx” – d. h. in den letzten Manuskripten seines zweiten Buches Ende der 1870er Jahre – stärker präsent ist als beim jungen Marx”.[51] Im ersten Band über die Rekonstruktion des Ideologiebegriffs von Jorge Larraín wird deutlich, dass Marx – im Gegensatz zu der von Althusser hervorgehobenen Unterscheidung zwischen dem jungen und dem “reifen” Marx – eine “kritische aber beschränkte Auffassung der Ideologie”, als “Fortsetzung der in der vorangegangenen Phase initiierten philosophischen Kritik” formulierte. Kritisch, weil “es sich um eine Verzerrung, Falschdarstellung oder Verheimlichung von Widersprüchen handelt”. Beschränkt, weil seine Auffassung der Ideologie “nicht alle Arten von Fehlern und Verzerrungen miteinbezieht”. Aus diesem Grund irren sich, laut Larraín “die strukturalistischen und positivistischen Interpretationen von Marx, die die Wissenschaft zur Antithese der Ideologie emporheben”. Denn Ideologie ist nicht “ein vorwissenschaftlicher Irrtum, der mit dem Eintreffen der Wissenschaft verschwindet”, sondern, wie in Die deutsche Ideologie gesagt wird,”die Beseitigung dieser Vorstellungen aus dem Bewusstsein der Menschen wird, wie schon gesagt, durch veränderte Umstände, nicht durch theoretische Deduktionen bewerkstelligt”.[52]

- Was die politischen Konsequenzen einer negativen Verwendung des Ideologiebegriffs angeht, ist die S.I. wesentlich näher bei Marx als der “Marxismus” ihrer Zeit. Lukács hingegen, der Die deutsche Ideologie noch nicht ganz lesen konnte (die gesamte Ausgabe erschien erst 1932), definierte den Marxismus als “ideologischer Ausdruck der proletarischen Klasse auf dem Weg zur Emanzipation”, während für Marx hingegen, die Ideologie “eine Auflösung der Widersprüche – die in der Praxis nicht gelöst werden konnten – auf der Ebene des sozialen Bewusstseins ist”. Die spezifischen Auswirkungen sind “die Verschleierung oder Verfälschung der Existenz oder des Charakters dieser Widersprüche”. Diese ideologisch erzeugte Verzerrung “ist nicht das ausschließliche Erbe einer bestimmten Klasse”, da sie in allen Klassen vorkommen kann, “aber Ideologie dient nur den Interessen der herrschenden Klasse”.[53] “[…] die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht”, denn: “Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion [...]“.[54] Es ist in dieser Logik, in der sich die marxsche Auffassung der Ideologie bewegt: “Die herrschenden Gedanken sind weiter nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefassten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zu herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft”. [55] Die vorherrschenden Gedanken der herrschenden Klassen, führen dazu, dass ihre materielle Ausgangslage und ihr Wesen als Produkt der herrschenden Klasse, in Vergessenheit geraten; sie werden als überhistorische Wahrheiten betrachtet. Dies ist eine Auswirkung der berühmten Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Im selben Text von Marx und Engels – dessen Manuskript aus den Jahren 1845/46 stammt, obwohl es erst 1932 von Rjazanow veröffentlicht wurde – wird, nach der Darstellung des historischen Prozesses, durch den eine revolutionierende Klasse hervortritt, dargelegt, dass ebendiese ihr eigenes Denken erzeugt und es als Ausdruck eines allgemeinen Interesses erscheinen lässt. So etabliert sich eine neue herrschende Klasse. Ferner ist Folgender Auszug entscheidend, obwohl er Spielraum für viele verschiedene Lesarten zulässt: “Dieser ganze Schein, als ob die Herrschaft einer bestimmten Klasse nur die Herrschaft gewisser Gedanken sei, hört natürlich von selbst auf, sobald die Herrschaft von Klassen überhaupt aufhört, die Form der gesellschaftlichen Ordnung zu sein, sobald es also nicht mehr nötig ist, ein besonderes Interesse als allgemeines oder ‘das Allgemeine’ als herrschend darzustellen”.[56] Die leninistischen und gramscianischen Interpretationen könnten in diesem Zitat eine Rechtfertigung der “sozialistischen Ideologie” sehen, d. h. die Legitimierung der proletarischen Übernahme der Staatsgewalt in der sogenannten Übergangsphase. Andere hingegen unterschieden, durch Rückgriff auf dieses Zitat, zwischen spezifischen und allgemeinen Ideologien. Die situationistischen Auffassung einer kommunistischen Haltung gegenüber der Ideologie, ist nicht weit von der revolutionären Haltung gegenüber Staat und Nation entfernt. Solch eine Auffassung ist Marx und Engels sehr nahe, da sie bekräftigt, dass das Proletariat als Klasse keine nationalen Interessen hat und dass es mit der alten Welt völlig gebrochen und ihr den Krieg erklärt hat.

Genau wie der “Nicht-Marxist” Marx, versuchte die S.I. die Umgestaltung ihrer Arbeit hin zu einer Ideologie, a priori zurückzuweisen. Von Anfang an wendeten sie sich sogar gegen den Begriff “Situationismus” selbst: „SITUATIONISMUS: Sinnloses Wort, missbräuchlich durch Ableitung der vorherigen Begriffe gebildet (“konstruierte Situation”, “Situationisten”)[57]. Einen Situationismus gibt es nicht – was eine Doktrin zur Interpretation der vorhandenen Tatsachen bedeuten würde. Selbstverständlich haben sich die Anti-Situationisten den Begriff ‘Situationismus’ ausgedacht.”[58] Da die S.I. nicht davon besessen war sich als Vertreterin des “wahren” Marxismus zu behaupten, war sie in der Lage die Analysen Marx’ und die der kritischsten marxistischen Traditionen zu erweitern, ohne daraus ein geschlossenes System oder eine Doktrin zu formen. Andere rätekommunistische Gruppen jener Zeit, wie Socialisme ou Barbarie und Pouvoir Ouvrier, in denen Debord und andere Situationist:innen einige Zeit parallel zur S.I., tätig waren, fokussierten sich auf die Etablierung eines authentischen und revolutionären Marxismus und lösten sich schlussendlich auf während einige ihrer Mitglieder versuchten den Hang zur Konstitution einer neuen Orthodoxie zu “überwinden”, indem sie den Marxismus und Marx für obsolet erklärten: Die Momente der größten “marxistischen” Enttäuschung bei Korsch und der offene Niedergang der persönlichen Werdegänge von Castoriadis, Lefort und Lyotard[59] sind klare Beispiele für diese Art der Entwicklung[60]. Rückblickend lässt sich festhalten, dass Castoriadis im Jahr 1965 sagte: “Ausgehend vom revolutionären Marxismus sind wir an den Punkt gelangt, an dem man sich entscheiden muss, entweder Marxist zu bleiben oder revolutionär zu bleiben.”[61] Es lässt sich in diesem Sinne zusammenfassend sagen, dass die S.I. der Frage “marxistisch sein oder nicht” nicht mehr Bedeutung beimaß als Marx selbst. In Bezug auf die grundlegenden Definitionen war dies eine eher sekundäre Frage.[62] Das wichtige für die S. I. dazumal – genauso wie für uns heutzutage – war, unter den gegebenen historischen Bedingungen, eine proletarische, offene, kritische und dynamische revolutionäre Theorie weiterzuentwickeln.

So beteuerte Korsch um 1950: “Marx ist heute nur einer unter vielen Vorläufern, Begründern und Weiterentwicklern der sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse. Ebenso wichtig sind die sog. ‘utopischen Sozialisten’ von Thomas Morus bis zur Gegenwart. Ebenso wichtig sind auch solche großen Konkurrenten von Marx wie Blanqui und solche Erzfeinde wie Proudhon und Bakunin. Ebenso wichtig sind schließlich auch solche nachträglichen Weiterentwicklungen wie die durch den deutschen Revisionismus, den französischen Syndikalismus und den russischen Bolschewismus”.[63] Diese verständliche, wenn auch vielleicht übertriebene Reaktion von Korsch deutet grundsätzlich auf das Richtige hin. Seiner Liste kann heutzutage mit vielen weiteren Namen ergänzt werden.[64]

Es zeugt von Kohärenz, die revolutionäre Theorie nicht mit dem Namen eines bestimmten Individuums in Verbindung zu bringen, so brillant und einzigartig dieses uns auch erscheinen mag.[65] Die Perspektive der S. I. und auch des späten Korsch ermöglicht die Überwindung falscher und unnötiger Spaltungen der revolutionären Proletarier:innen in “Marxist:innen” und “Anarchist:innen” – vergessen wir nicht, dass sogar Bakunin Marx’ Werke – wenn auch kritisch – würdigte.

Andererseits, wenn es im Rahmen dieser Tradition notwendig ist, einen “offenen” Marxismus gegenüber einem geschlossenen, einen “libertären” gegenüber einem autoritären, einen “kritischen” gegenüber einem positivistischen, einen “revolutionären” gegenüber einem reformistischen Marxismus und so weiter zu bekräftigen, wird nicht klar welcher der Vorteil sein soll, wenn weiterhin auf den “Marxismus” im Allgemeinen oder im Abstrakten beharrt wird. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass das, was in der Geschichte einen hegemonialen Charakter erlangte, nicht gerade der revolutionäre und offene Marxismus war. Dieses Thema würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Doch es lässt sich sagen, dass im Gegensatz zu gewissen Tendenzen, die in der S.I. einen “anarcho-marxistischen” oder einen “libertären Marxismus” sehen, die Situationist:innen, wie viele andere Rätekommunist:innen und Linkskommunist:innen, eher dazu neigten den Dualismus zwischen Marxismus und Anarchismus zu überwinden, statt eine Mischung aus beiden vorzuschlagen, oder sich damit zu begnügen, zwischen beiden Positionen hin und her zu pendeln.[66] Im Kapitel “Das Proletariat als Subjekt und als Repräsentation” bezieht sich Debord, nachdem er die “Gründung” des Marxismus als Sieg des sozialdemokratischen Positivismus definiert hat, auf die Spaltung in Marxist:innen und Anarchist:innen, die zu einer Zeit stattfand, in der die Kämpfe der Ersten Internationale abflachten:

“Die ersten Erfolge des Kampfes der Internationale brachten sie dazu, sich von den konfusen Einflüssen der herrschenden Ideologie zu befreien, die in ihr fortbestanden. Aber die Niederlage und die Unterdrückung, die sie bald erfuhr, stellten einen Konflikt zwischen zwei Auffassungen der proletarischen Revolution in den Vordergrund, die beide eine autoritäre Dimension beinhalten, durch welche die bewußte Selbstbefreiung der Klasse aufgegeben wird. Tatsächlich war der unversöhnlich gewordene Streit zwischen Marxisten und Bakunisten zweifach, indem er zugleich die Macht in der revolutionären Gesellschaft und die gegenwärtige Organisation der Bewegung betraf, und beim Übergang von dem einen dieser Aspekte zu dem anderen kehren sich die Positionen der Gegner um. Bakunin bekämpfte die Illusion einer Abschaffung der Klassen durch den autoritären Gebrauch der Staatsmacht, weil er die Neubildung einer herrschenden bürokratischen Klasse und die Diktatur der Gelehrtesten oder derer, die dafür gehalten werden, voraussah. Marx, der glaubte, daß ein untrennbares Reifen der wirtschaftlichen Widersprüche und der demokratischen Erziehung der Arbeiter die Rolle des proletarischen Staates auf eine einfache Phase der Legalisierung neuer gesellschaftlicher Beziehungen, die sich objektiv durchsetzen, beschränken würde, denunzierte bei Bakunin und seinen Anhängern den Autoritarismus einer konspirativen Elite, die sich absichtlich über die Internationale gestellt hatte, mit der extravaganten Absicht, der Gesellschaft die unverantwortliche Diktatur der Revolutionärsten oder derer, die sich als solche werden bezeichnet haben, aufzuzwingen. Bakunin sammelte tatsächlich seine Anhänger in einer derartigen Perspektive: «Als unsichtbare Piloten müssen wir den Volkssturm aus seiner Mitte heraus lenken, aber nicht durch eine offensichtliche Gewalt, sondern durch die kollektive Diktatur aller Verbündeten. Durch eine Diktatur ohne Schärpe, ohne Titel und ohne offizielles Recht, die aber um so mächtiger ist, als sie nicht den äußeren Schein der Gewalt besitzt». So haben sich zwei entgegengesetzte Ideologien der Arbeiterrevolution bekämpft, die beide eine zum Teil wahre Kritik enthielten, aber die Einheit des Denkens der Geschichte verloren und sich selbst als ideologische Autorität errichteten. Mächtige Organisationen, wie die deutsche Sozialdemokratie und die Iberische Anarchistische Föderation, haben treu der einen oder der anderen dieser Ideologien gedient; und überall unterschied sich das Ergebnis weit von dem, was gewollt war”.[67]

Ab diesem Moment konstituierten sich Anarchismus und Marxismus als rivalisierende Ideologien innerhalb der Arbeiter:innenbewegung. Auch der Linkskommunist und Verfechter der Theorie der Kommunisierung Gilles Dauvé machte auf diese Spaltung aufmerksam, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte und später verschärfte. Beide historischen Strömungen hatten einen reformistischen und einen revolutionären Ausdruck, und in den Revolutionen der vergangenen zwei Jahrhunderte fanden sie sich nacheinander oder gleichzeitig auf beiden Seiten der Barrikaden wieder (Kronstadt und der Mai 1937 in Barcelona sind die schrecklichsten Beispiele). Doch der Vorteil, den Marxismus als auch den Anarchismus als Ideologien zu betrachten, liegt darin, dass die Notwendigkeit der Überwindung dieser schädlichen Spaltung hervorgehoben wird. Für Debord enthalten beide Positionen eine “zum Teil wahre Kritik” doch sie haben “die Einheit des Denkens der Geschichte verloren und sich selbst als ideologische Autorität” errichtet. “Mächtige Organisationen, wie die deutsche Sozialdemokratie und die Iberische Anarchistische Föderation, haben treu der einen oder der anderen dieser Ideologien gedient; und überall unterschied sich das Ergebnis weit von dem, was gewollt war”.[68] Doch letztendlich kann weder der Marxismus noch der Anarchismus auf bloße “Ideologien” der Arbeiterbewegung reduziert werden. Im Falle des Marxismus könnten wir aus allem, was bisher dargestellt wurde, schließen, dass es mindestens zwei oder drei Positionen gibt, die wir als Schlussfolgerung hervorheben könnten: einen “ideologischen Marxismus”, der nicht von Marx, sondern von Kautsky und seinen Schülern in der II. und III. Internationale zementiert wurde; andererseits eine “Tradition des Marxismus”, die in Wirklichkeit nicht nur eine, sondern viele “Marxismen” beinhaltet. Zu dieser Tradition muss auch, wenn wir sie im weitesten Sinne betrachten, der ideologische Marxismus gezählt werden, d. h. der vulgäre, reformistische und/oder dogmatische Marxismus, der ein ideologischer Ausdruck bestimmter Sektoren der Arbeiter:innenbewegung – und auch außerhalb davon – ist und war. Innerhalb des so verstandenen Marxismus ist es in unserem Interesse, die Tradition des revolutionären, offenen, libertären und kritischen Marxismus, der bisher der beste Ausdruck proletarischer Theorie war, hervorzuheben, aufzudecken und weiterzuentwickeln, während das Studium all seiner Varianten auf verschiedene Art und Weise notwendig und nützlich sein kann. Der Marxismus im letzteren Sinne, d. h. in einer revolutionären Tradition, steht immer in direktem Bezug zu Marx’ emanzipatorischer Methode und Ambitionen und ist nicht mit dem Marxismus als ideologisches System zu verwechseln, das “bereits zu Lebzeiten von Marx” wie Debord sagte aufgebaut wurde, aber “den einheitlichen” und revolutionären Standpunkt seiner Theorie verlor.

Dieser “Marxismus” ist unserer Meinung nach tatsächlich eine der brillantesten Formen des “Denkens der Geschichte” und strebt daher nicht danach sich mit der Figur, der Epoche und dem Namen Marx zu identifizieren. Daher schien es für Marx selbst absurd und engstirnig ein “Marxist” zu sein, wenn man die tiefgreifende historische Bedeutung des kommunistischen Programms der Abschaffung der Klassengesellschaft berücksichtigt.

Marxismus”, “radikale kritische Theorie”, “Philosophie der Praxis”, “historischer Materialismus”, usw. sind alles nur verschiedene Namen für ein Denken der Geschichte, das, wie man in Anlehnung an Debord sagen kann, nur gerettet werden kann, wenn es zu einem praktischen Denken wird. Wenn im historischen Handeln des Proletariats sich zeigt, dass dieses Denken nicht vergessen wurde, “ist das Dementi des Schlusses zugleich auch die Bestätigung der Methode”[69]. Das ist der Grund warum in den frühen 70er Jahren, als es zur formalen Auflösung der Organisation, die sich am konkretesten der Vorbereitung der jüngsten Ausbrüche des modernen Klassenkampfes gewidmet hatte – ein Moment, der Parallel zu Gründung der S. I., von Debord als “revolutionärer Akt” bezeichnet wurde – die wenigen verbliebenen Situationist:innen, in einem ungewöhnlichen Akt der Bescheidenheit, behaupteten dass die sogenannten “situationistischen” Ideen nichts anderes als die Hauptideen einer Periode waren, die sich durch das Wiederauftreten der modernen revolutionären Bewegung kennzeichnet. Was in den Ideen der S. I. “radikal neu ist, entspringt also genau aus den neuen Merkmalen der Klassengesellschaft”. Daher waren sie nichts Geringeres als “das revolutionäre Denken der letzten zwei Jahrhunderte, sie repräsentierten das Denken über Geschichte, das in seinem gegenwärtigen Zustand wieder zu Hause ist”.[70] Aus diesem Grund möchten wir abschließend festhalten:

 

“SCHLUSSENDLICH HANDELT ES SICH NICHT UM EINE THEORIE DER S.I., SONDERN UM EINE THEORIE DES PROLETARIATS”.

 

Chile, 2009.

 

[1]Aus dem Spanischen übersetzt von M. Lautréamont.

[2]Frei aus dem Spanischen übersetzt (Anm. d. Ü.)

[3]Ich habe in dem eher unterhaltsamen Band, den Zizek uns hinterlassen hat, “Mapping Ideology”, nur einen Hinweis auf Debord und die “Gesellschaft des Spektakels” entdeckt, und zwar in dem Text von Zizek selbst, mit dem das Buch eröffnet wird (Das Gespenst der Ideologie): Nachdem einige über die “Ideologie an sich” sprachen und andere sich auf die materielle Praxis der externalisierten Ideologie fokussierten – Althussers berühmte ideologische Staatsapparate – wird die Externalisierung “auf sich selbst zurückgeworfen”. Wir stoßen auf eine Realität, die außerideologisch zu sein scheint, die aber in Wahrheit von der Ideologie nicht zu unterscheiden ist. Nachdem Zizek sich mit der marxschen Analyse des “Warenfetischismus” auseinandersetzt (“In der Theorie hält ein Kapitalist am utilitaristischen Nominalismus fest, doch in seiner eigenen Praxis (des Tauschs usw.) folgt er ‘theologischen Launen’ und handelt als kontemplativer Idealist”), kommt er zum Schluss: “Ein direkter Verweis auf einen außerideologischen Zwang (des Marktes zum Beispiel) ist eine ideologische Geste par excellence: Markt und (Massen-)Medien sind dialektisch miteinander verbunden; wir leben in einer ‘Gesellschaft des Spektakels’ (Guy Debord), in der die Medien unsere Wahrnehmung der Realität im Voraus strukturieren und die Realität von ihrem ‘ästhetisierten’ Abbild nicht zu unterscheiden ist” (Zizek, 203, S. 24).

[4]Im ersten Band setzt sich Larrain mit den Ursprüngen des Begriffs auseinander: Im noch revolutionären Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts schlugen einige bürgerliche Intellektuelle vor, eine Wissenschaft des systematischen Studiums der Ideen ins Leben zu rufen, während der Begriff im Lichte der Konflikte und sozialen Kämpfe des 19. Jahrhunderts neue Bedeutungen annahm. Denken wir etwa an Napoleons verächtliche Verweise auf den kontemplativen Charakter der Tätigkeit der “Ideolog:innen” oder an Marx’ Beitrag zum Begriff der Ideologie, der einer Umkehrung und Entlarvung der ursprünglichen Bedeutung gleichkam. Die marxsche Ideologiekritik bezeichnet die Ideologie als falsches Bewusstsein, im Rahmen dessen die herrschende Klasse der Gesellschaft auf gewaltsame Art und Weise ihre Ideen aufzwingt. Die Ideologie ist in diesem Sinne das Fundament des sozialen Gebäudes schlechthin. Band 2 trägt den Titel “Marxismus nach Marx: Gramsci und Althusser”. Wie man sieht, gehört Larraín zu denjenigen, die glauben, dass es bereits zu Marx’ Zeiten einen “Marxismus” gab. Im zweiten Band geht er allen Veränderungen nach, die der Begriff der Ideologie nach dem Tod des bärtigen Mannes durchgemacht hat. Dabei untersucht er die zweideutige Verwendung des Begriffs bei seinem Freund und Helfer Engels bis hin zur erneuten Umkehrung des Begriffs bei Lenin und Gramsci. Laut dem Autor wird der dritte Band den Titel “Historismus und Postivismus: Von Nietzsche bis Durkheim” tragen und der vierte “Strukturalismus und Sprache: Von Levi-Strauss bis Baudrillard”. In den bereits veröffentlichten Bänden gibt es keinen Hinweis auf die S.I..

[5]Alle Zitate der S.I. beziehen sich, sofern nichts anderes erwähnt wird, auf die Gesellschaft des Spektakels. http://theoriepraxislokal.org/books/GdS4.php

[6]Diese kritische Arbeit erfordert eine kontinuierliche Anstrengung. Sie darf nicht mit der vorherrschenden Position im Marxismus des frühen 20. Jahrhunderts verwechselt werden, wie sie von Korsch in “Marxismus und Philosophie” bereits kritisiert wurde. Der Marxismus jener Zeit tendierte zu voreiligen Negation jeglicher Philosophie und/oder Ideologie, die als Problem des “Überbaus” bezeichnet wurde. Diese Auffassung entsprach der ökonomistischsten und mechanischsten Phase des historischen Materialismus innerhalb der Zweiten Internationale.

[7]Aus dieser Perspektive hätten postmoderne/reaktionäre Konzepte wie die Ideologie des “Endes alles Ideologien” und die prätentiöse Proklamation des “Endes der großen Narrative” bei Marx und der S.I. eher Gelächter und Hohn hervorgerufen, als unzählige Texte und Diskussionen.

[8]Sogar in einem “ausgereifterem” Stadium der situationistischen Aktion, also während der Besetzungsbewegung im Mai 1968 in Frankreich, enthielten die Telegramme, die von Situationisten und “enragés” an die chinesische und russische “kommunistische” Partei geschickt wurden, neben der Drohung einer bevorstehenden Rätebewegung, die diese Bürokratien hinwegfegen würde, den Slogan “Es lebe der revolutionäre Marxismus!” Der Wortlaut der Mitteilung stammt jedoch von einem der SI-Sympathisant:innen, die als “enragés” bekannt waren.

[9]Ich beziehe mich hier auf den “Fragebogen”, der in Ausgabe 9 der Zeitschrift Internationale Situationniste (1964) veröffentlicht wurde. Die Antwort auf die “Größe” der Organisation ist ebenfalls sehr interessant: “- Wie viele wir sind? – Einige mehr als der ursprüngliche Kern der Guerilla Sierra Maestra, aber mit weniger Waffen. Einige weniger als die Delegierten, die 1864 in London waren, um die IWA zu gründen, aber mit einem kohärenteren Programm…”.

[10]Zu jener Zeit kämpfte die fortschrittliche Bourgeoisie mit den Arbeiter:innen zusammen gegen das Alte Regime, was zu beunruhigenden Ergebnissen führte, deren “Momente der Wahrheit” das Erbe des Proletariats sind. Mehr noch: Das Proletariat ist – jetzt – das einzig legitime Erbe dieser Momente.

[11]Karl Korsch, Thesen über Hegel und die Revolution.

[12]Debord, These 79.

[13]Debord, These 84.

[14]Debord, These 85.

[15]Ebd. These 81.

[16]Darin unterscheidet sich Debord von Lukács’ Auffassungen in “Geschichte und Klassenbewusstsein”. Für Lukács ist die Totalität genau das ist, was den “orthodoxen Marxismus” in Abgrenzung zu allem anderen (Idealismus, Materialismus und Vulgärmarxismus usw.) ausmacht. “Diese dialektische Totalitätsbetrachtung, die sich scheinbar so stark von der unmittelbaren Wirklichkeit entfernt, die die Wirklichkeit scheinbar so ‘unwissenschaftlich’ konstruiert, ist in Wahrheit die einzige Methode, die Wirklichkeit gedanklich zu reproduzieren und zu erfassen. Die konkrete Totalität ist also die eigentliche Wirklichkeitskategorie”. (Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein). Für Lukács ist es diese Methode, die den orthodoxen Marxismus definiert. Die Methode ist “die wissenschaftliche Überzeugung, daß im dialektischen Marxismus die richtige Forschungsmethode gefunden wurde, daß diese Methode nur im Sinne ihrer Begründer ausgebaut, weitergeführt und vertieft werden kann. Daß aber alle Versuche, sie zu überwinden oder zu “verbessern”, nur zur Verflachung, zur Trivialität, zum Eklektizismus geführt haben und dazu führen mußten” (ebd.). Für Lukács bedeutet orthodoxer Marxismus also nicht ein unkritisches Festhalten an den Ergebnissen der Forschung von Marx, er ist kein Akt des ‘Glaubens’ an diese oder jene These. Der orthodoxe Marxismus könnte ohne weiteres weiterbestehen, auch wenn er einige der Thesen von Marx im Lichte neuer Forschungsergebnisse völlig ablehnt (Lukács, “Was ist orthodoxer Marxismus”, in Geschichte und Klassenbewusstsein). Interessanterweise könnte diese Definition des orthodoxen Marxismus mit dem übereinstimmen, was aus einem anderen Blickwinkel als “Revisionismus” definiert wird. Schauen wir uns zum Beispiel die Definition aus dem Wörterbuch “Diccionario del Militante Obrero” an, das Anfang der 1970er Jahre in den autonomen Arbeiter:innenmilieus Kataloniens entstand: “Heute nennen wir jeden Marxisten, der die marxsche Theorie nicht als Ganzes akzeptiert, einen “Revisionisten”. Somit wären Revisionisten das Gegenteil von Dogmatikern. Sie werden fälschlicherweise als Synonym für Reformisten verwendet”. Marx selbst hatte kein Problem damit, sich von Zeit zu Zeit zu “revidieren”, wie zum Beispiel das gemeinsam mit Engels verfasste Vorwort für eine deutsche Ausgabe des Kommunistischen Manifests von 1872 zeigt: “Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß ‘die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann’.”

[17]Lukács, Rosa Luxemburg als Marxist, in: Geschichte und Klassenbewusstsein.

[18]Ebd.

[19]Die folgenden Zitate von Grün wurden frei aus dem Spanischen übersetzt. Die Quelle der Zitate wird im Originaltext nicht angegeben. (Anm. d. Ü.)

[20]Rubel hat eine der besten kritischen Ausgaben vom zweiten Band des Kapitals geschrieben (Karl Marx, Oeuvres, Économie, t.II, Paris, 1968).

[21]Frei aus dem Spanischen übersetzt (Anm. d. Ü.)

[22]Marx, Grundrisse I, zitiert nach Dussel, 1990, S.18.

[23]Nach mehreren Schreibversuchen, die mehrere Jahrzehnte dauerten, gelang es Marx, nur das erste Buch des ersten Teils seines Projekts zu veröffentlichen. Das zweite und dritte Buch vom Kapital wurden von Engels herausgegeben, der Marx’ geistige Hinterlassenschaft ausmustern musste und oft auch Eingriffe und Veränderungen an den Inhalten vornahm, die Marx in Entwurfsform hinterlassen hatte. In der Einleitung zu seiner kritischen Ausgabe vom zweiten Band vom Kapital weist Pedro Scaron darauf hin, dass Engels’ Entscheidungen in diesem Prozess durchaus vertretbar waren. Angesichts einer beeindruckenden Anzahl von Manuskripten musste er sich zwischen einer “kämpferischen” und vereinfachten Ausgabe oder einer “wissenschaftlichen” für Spezialist:innen entscheiden und entschied sich schließlich für die erstere: “Aber indem er sich für eine leichter zugängliche und populäre Ausgabe entschied, gab Engels Anlass zu zwei recht weit verbreiteten Irrtümern. Zum einen interpretierten viele diese Bände nicht als vorbereitendes Material für eine vollständige Ausgabe, sondern als die vollständige Ausgabe selbst. Doch Marx hat leider sein Projekt nie ganz zu Ende gebracht. Zum anderen versucht Engels durch seine Bescheidenheit und Zurückhaltung, uns davon zu überzeugen, dass das Werk, das er uns vorlegt, so wie er es uns vorlegt, ‘das ausschließliche Werk des Autors, nicht des Herausgebers’ bleibt. Doch Engels’ enorme Arbeit [...] gibt uns die Gewissheit, dass diese Bände in ihrer jetzigen Form in gewissem Maße ein gemeinsames Werk von Marx und Engels sind” (Scaron, Warnung zur vorliegenden Ausgabe, Das Kapital, Bd. II/Band 4).

[24]José Aricó und den Genossen von Pasado y Presente schreiben sehr treffend, dass die Manuskripte von Marx “nur Entwürfe eines Buches waren, an dem die Sozialisten der Welt mitschreiben sollten”.

[25]Der unvollendete Charakter seines Werkes konfrontierte seine Nachfolger mit der Herausforderung seine Arbeit auf kreative Art und Weise, unter sich verändernden Bedingungen, weiterzuführen. Doch nichts ist weiter davon entfernt, als die Sezierung und Einbalsamierung seitens der Marx-Epigon:innen seit Ende des 19. Jahrhunderts.

[26]Erschienen 1962 in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Mondo Nuovo.

[27]Wir würden an dieser Stelle hinzufügen: ein Kampf auch gegen alle Elemente die schon zur Zeit der Entstehung des Marxismus und des Anarchismus, also der zwei Theorien der traditionellen Arbeiter:innenbewegung, versuchten sich heimlich einzuschleichen: Evolutionismus, eine lineare Auffassung der Geschichte, der Kult der Technik und der Produktivkräfte, usw..

[28]Und zwar, weil er den Eindruck eines Kampfes zwischen einem “kultivierten” akademischen Marxismus und einem “groben”, ungeschliffenen oder”historisierenden” Marxismus erweckt, obwohl in Wirklichkeit vor allem sozialdemokratische Professor:innen für den “Vulgärmarxismus” verantwortlich waren.

[29]Debord, These 95.

[30]Korsch, Warum ich Marxist bin. http://www.trend.infopartisan.net/trd0215/t020215.html Im selben Text widmet sich Korsch – der sich später gegen seine “orthodoxe” Vergangenheit wenden sollte – der Entwicklung dessen, was er als die 4 wesentlichen Punkte des Marxismus betrachtet, die er wie folgt zusammenfasst: “1. Der Marxismus ist nicht allgemein, sondern spezifisch. 2. Er ist nicht positiv, sondern kritisch. 3. Sein Gegenstand ist nicht die bestehende und in ihrer Beständigkeit bestätigte, sondern die untergehende und als untergehend bewiesene kapitalistische Gesellschaft. 4. Sein Zweck ist nicht die Anschauung und der Genuß der bestehenden Welt, sondern ihre praktische Umwälzung.“

[31]Debord, These 96.

[32]Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/index.htm

[33]Marx, Kritik des Gothaer Programms. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/index.htm

[34]Zitiert nach Korsch, 1923. Im Original wird nicht angegeben was für ein Werk. (Anm. d. Ü.)

[35]Benjamin, Über den Begriff der Geschichte. These XII. https://www.textlog.de/benjamin/abhandlungen/ueber-den-begriff-der-geschichte

[36]Ebd. These XIII.

[37]Die Sozialdemokrat:innen sind, wie bereits erwähnt, treue Anhänger:innen des Fortschritts, was Ausdruck eines Standpunkts im Einklang mit den kapitalistischen Produktivkräften ist, der den Blick stets auf eine strahlende Zukunft gerichtet hat.

[38]Im Original steht nicht, woher das folgende Zitat stammt. (Anm. d. Ü.)

[39]Auf diese Weise schloss sich auch Karl Korsch in den 1920er Jahren der Position an, den “wahren” Marxismus zu verteidigen. Siehe dazu das Kapitel “Korsch und der Kommunismus” in Kellners Buch über Korsch. “Revolutionärer Historismus” führte ihn sogar dazu, sich für einen Großteil der 1920er Jahre mit dem Leninismus zu identifizieren. Korschs theoretische Position orientierte sich an einem konkreten Ereignis: Der russischen Revolution. Dadurch deutete er Lenin, der Monate vor den Ereignissen von Oktober “Der Staat und die Revolution” mit der Absicht geschrieben hatte, “eine korrekte marxistische Theorie des Staates wiederherzustellen”, als “ein Zeichen dafür, dass die innere Verbindung von Theorie und Praxis innerhalb des revolutionären Marxismus bewusst wiederhergestellt worden war” (Marxismus und Philosophie, zitiert von Kellner, S. 39). Zu einem späteren, kritischeren Moment lehnt er den “Leninismus” als Ideologie des stalinistisch geführten Staatskapitalismus ab. Doch im Rückblick glaubte Korsch immer noch, dass “das gesamte russische Proletariat und damit die gesamte bewusste revolutionäre Vorhut des internationalen Proletariats in der Vergangenheit leninistisch sein musste” (Karl Korsch, “Die zweite Partei”, in Politische Texte, zitiert nach Kellner, S.65).

[40]In dem Maße, in dem der Marxismus als inhärent entstellt und deformiert (Debord) oder als etwas, das nachträglich durch die reformistische Praxis deformiert wurde (Lukàcs, Tronti), variiert das, was mit “Orthodoxie” gemeint ist, deutlich. Während also einige Marxisten, die mit dem Rätekommunismus in Verbindung gebracht werden – wie Mattick, Pannekoek, Korsch und Gorter – in der Regel als “heterodox” definiert werden, besteht das Paradox darin, dass sie ihren eigenen Marxismus im Allgemeinen als “orthodox” und die offiziellen Marxismen der Zweiten und Dritten Internationale als historische Fehldarstellungen betrachteten.

[41]Zur Unterstützung dieser Aussage verweisen wir auf den Text “Decadence: The Theory of Decline or the Decline of Theory?” des britischen Kollektivs/Magazins Aufheben, dessen englische Übersetzung auf verschiedenen Internetseiten zu finden ist. Für eine Studie über die charakteristischen Merkmale, Hauptphasen und Spielarten des “Sowjetmarxismus” empfehle ich Marcuses Werk zu diesem Thema. Die tiefe Verbindung zwischen der sozialdemokratischen Ideologie und dem Marxismus-Leninismus wird auch von Korsch ab den späten 1920er Jahren hervorgehoben (der Stalinismus ist für Korsch der “Bernsteinismus/Kautskyismus” des unmittelbaren Augenblicks nach der Ergreifung der Staatsmacht), und viel später von Jean Barrot in The ‘Renegade’ Kautsky and his disciple Lenin (geschrieben als Einleitung zur Ausgabe von Karl Kautskys klassischem Text “Die drei Quellen des Marxismus”. Der Text von Barrot ist im Internet verfügbar: http://www.geocities.com/cicabib/barrot/renegado.htm ).

[42]Debord, Auszug aus These 98.

[43]Debord, Auszug aus These 105.

[44]Dasselbe scheint Jorge Larraín anzudeuten, wenn er seinen Band 2 mit “Marxismus nach Marx” untertitelt. Demnach ist klar, dass es für ihn einen Marxismus parallel zu Marx gibt. Klar ist, dass es absurd wäre zu behaupten, dass es einen Marxismus “vor Marx” gibt. Kann man aber davon sprechen, dass Marx Marxist war? Diese Antwort auf diese Frage ist und nicht klar, aber wir neigen dazu, sie zu verneinen.

[45]Um ein angemessenes Beispiel zu geben, können wir auf die Genoss:innen von Socialisme ou Barbarie verweisen, und auf dass, was sie im Jahr 1949 unter “Marxist:innen” verstehen: “Wenn wir uns als Marxisten betrachten, dann nicht, weil wir glauben, dass Marxisten zu sein bedeutet, dieselbe Beziehung zu Marx zu haben, wie die katholischen Theologen mit der Heiligen Schrift. Für uns bedeutet Marxist zu sein, auf dem Boden einer Tradition zu stehen, die Probleme auf der Grundlage der von Marx und denjenigen, die seinen Absichten treu bleiben konnten, geleisteten Arbeit zu stellen und die traditionellen marxistischen Positionen zu verteidigen, solange eine neue Untersuchung uns nicht davon überzeugt hat, dass sie aufgegeben, korrigiert oder durch andere ersetzt werden sollten, die den späteren Erfahrungen und den Forderungen der revolutionären Bewegung besser entsprechen” (Castoriadis, Präsentation der Zeitschrift Socialisme ou Barbarie, verfügbar unter: http://www.fundanin.org/castoriadis9.htm.

[46]Debord, These 87.

[47]Debord, These 87.

[48]Ebd. In der marx’schen Definition des “Bonapartismus” wird jedoch die Verschmelzung des Staates mit dem Kapital zu einer “öffentlichen Gewalt, die zum Zwecke der sozialen Versklavung organisiert ist”. Darin zeichnen sich die “sozio-politische Grundlage des modernen Spektakels” ab.

[49]Ebd. These 88. Die Hervorhebungen stammen von uns.

[50]Im Original steht nicht, woher das Zitat genau stammt. (Anm. d. Ü.)

[51]Dussel, 1990, S.313.

[52]Marx, Die Deutsche Ideologie, zitiert nach Larraín, Der Begriff der Ideologie, Vol.1, S. 76).

[53]Larraín, Bd. 1, S. 75.

[54]Marx und Engels, Die Deutsche Ideologie, S. 67.

[55]Ebd.

[56]Ebd. S. 69.

[57]Konstruierte Situationen: “Durch die kollektive Organisation einer einheitlichen Umgebung und des Miteinanderspielens von Ereignissen konkret und mit voller Absicht konstruiertes Moment des Lebens.” Situationistisch/Situationist: “All das, was sich auf die Theorie oder auf die praktische Tätigkeit von Situationen bezieht. Derjenige, der sich damit beschäftigt, Situationen zu konstruieren. Mitglied der situationistischen Internationale.” Zeitschrift der Situationistischen Internationale. Ausgabe Nr. 1. Definitionen.

[58]Definitionen, in Internationale Situationniste Nr. 1., Dezember 1958.

[59]Für diejenigen, die nur den postmodernen Lyotard kennen, lohnt es sich, den immer noch revolutionären Lyotard von “Wozu philosophieren?” und “Abgleiten von Marx und Freud” (wo er uns im Kapitel “Begehren-Revolution” sogar eine Art verbalen “Situationismus” bietet) zu studieren. In der Zeitschrift Socialisme ou Barbarie schrieb er sehr klare Analysen der Situation in Algerien und vertrat interessante Positionen zur “Kolonialfrage”. Leider scheint die dringend benötigte spanische Ausgabe aller Ausgaben der Zeitschrift nicht in greifbarer Nähe zu sein.

[60]Dies scheint Lukács Recht zu geben, wenn er in “Was ist orthodoxer Marxismus?” festhält, dass “diese Methode nur im Sinne ihrer Begründer ausgebaut, weitergeführt und vertieft werden kann. Daß aber alle Versuche, sie zu überwinden oder zu ‘verbessern’ nur zur Verflachung, zur Trivialität, zum Eklektizismus geführt haben und dazu führen mußten”.

[61]Im Gegensatz zu Lukács glaubt Castoriadis, dass es nicht möglich ist, Methode und Inhalt zu trennen (Castoriadis, “Marxismus und revolutionäre Theorie”).

[62] Wenn wir vom “Marxismus der S.I.” sprechen würden – obwohl dies genauso unzulässig ist wie von einem “Marxismus von Marx” zu sprechen – dann wäre dieser undogmatisch und unideologisch. Ob man ihn unter den lukácschen Begriff des “orthodoxen Marxismus” subsumieren kann, bleibt eine offene Frage.

[63]Korsch, Zehn Thesen über den Marxismus heute.

[64]Was auch immer man über ihn oder den verschiedenen “Marxismen” denken mag, wartet Marx’ unvollendetes Werk immer noch darauf, weiterentwickelt zu werden. Unsere aktuelle Situation unterscheidet sich nicht sehr von dem, was Dussel 1990 schrieb, als er seine Analyse der vier verschiedenen Ausgaben des Kapitals abschloss: “Das zweite Jahrhundert des Marxismus, das gerade begonnen hat, wird die vier verschiedenen Ausgaben des Kapitals nicht ignorieren können. Sie werden eine Erneuerung ermöglichen, die sicherlich dann eintreten wird, wenn die oberflächlichen Mode des Postmarxismus verschwindet.” (Dussel, 1990, S. 333). Ist diese Mode bereits beendet? Mehrere Anzeichen scheinen darauf hinzudeuten.

[65]Lukács sagte, der Marxismus sei die “Theorie der Revolution”, der “ideologische Ausdruck” des Proletariats im Kampf, aber hätte das Proletariat nicht ohnehin seine eigene Theorie entwickeln müssen, mit oder ohne Karl Marx? Andererseits, inwieweit sind nicht alle Revolutionstheorien, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelt wurden, immer noch stark von den bürgerlichen Revolutionen beeinflusst und determiniert?

[66]Hierzu empfehlen wir die Lektüre von Riesels Pamphlet über die Räteorganisation, in dem er diejenigen, die auf dem Streit “Anarchismus versus Marxismus” beharren, als Esel bezeichnet (René Riesel, Preliminaries on the councils and the councilist organisation, verfügbar unter: www.sindominio.net/ash/is1205.htm). Andererseits hat Gilles Dauvé darauf hingewiesen, dass “wir nicht Teile von Bakunin zu großen Teilen von Marx hinzufügen (oder umgekehrt). Eine solche Verwechslung würde wie ein falsches Puzzle aussehen. Wir versuchen lediglich, Marx und Bakunin so zu bewerten, wie Marx und Bakunin beispielsweise Babeuf oder Fourier bewerten mussten” (Dauvé, 2002).

[67]Debord, These 91.

[68]Ebd.

[69]Debord, These 77.

[70]Guy Debord und Gianfranco Sanguinetti, Thesis on the Situationist International and its time, 1972.


M. Lautréamont, Verfechterin des Rechts auf Faulheit, arbeitslos und schreibt gerne.


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