Die Kunst, «ganze Menschen» zu regieren. Über die politische Vermenschlichung ausländischer Arbeitskräfte.*

1    Einleitung

Ohne Ausländerinnen und Ausländer hätte es die Schweizer Eidgenossenschaft wohl kaum zum «wettbewerbsfähigsten Land der Welt» (Sommaruga 2012) gebracht. Sie hätte keinen Gotthardtunnel, würde an medizinischer Unterversorgung kranken und in der Gastronomie müsste ein Grossteil der Betriebe schliessen. Auch in Zukunft wird die Schweiz auf hoch- und niedrigqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sein (Bericht Bundesrat Integrationspolitik 2010, S. 13). Der Pflegebereich, die Tourismusbranche und das Metzgergeschäft müssen ihren Nachwuchs vermehrt im Ausland rekrutieren. Der Hunger nach ausländischen Arbeitskräften ist gross. Und sie kommen, die Arbeitskräfte, die man ruft. Nachdem die Schweizer Wirtschaft über mehrere Jahre stark gewachsen war, stieg der Wanderungssaldo auf 90’000 ausländische Personen an. Mit der Rezession von 2009 verringerte er sich dann wieder deutlich. Die 2010 rasch einsetzende wirtschaftliche Erholung beendete den rückläufigen Trend, so dass 2011 bereits wieder 78‘500 Ausländerinnen und Ausländer einwanderten; mehrheitlich aus dem EU/EFTA-Raum. Mit 23,8% verzeichnete die Schweiz unter den europäischen Ländern Ende 2013 einen der höchsten Anteile an ausländischen Staatsangehörigen in der Wohnbevölkerung (BFS, 2014).

Der Ausländer als Mitmensch

Liess das Gespenst der Überfremdung die Zuwanderung bis in die 1970er Jahren zu einer staatspolitischen Gefahr werden, so konstellieren sich die Probleme mit der ausländischen Bevölkerung seit den 1990er Jahren im politischen Horizont eines friedlichen Zusammenlebens der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung (Art. 4 Abs. 1 AuG). Die gesellschaftliche Teilhabe der Ausländerinnen und Ausländer am öffentlichen Leben und die Chancengleichheit wurden inzwischen zu Zentralelementen des ausländerpolitischen Aufenthaltsdispositivs erklärt (Art. 53 Abs. 2 AuG). Anders als in der Gastarbeiterära der 1960er Jahren kann man der gegenwärtigen schweizerischen Migrationspolitik wohl kaum mehr vorwerfen, dass sie die Zugewanderten zu einer wirtschaftlichen Produktivkraft degradiert. Die offizielle Schweiz sorgt sich vielmehr um ihre Ausländerinnen und Ausländer, sie kümmert sich um die Aneignung der vor Ort gesprochenen Sprache und pflegt das vorhandene Bildungskapital. Sie fördert berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und fordert ein selbstverantwortliches ökonomisches Verhalten. Denn die «Trendwende» (Prodolliet, 2006, S. 87) zur Integrationspolitik liess deutlich werden, dass sich der ausländischen Bevölkerung laufend Integrationsaufgaben stellen, die sie produktiv bewältigen muss (BFM, 2006).

Als der Grossteil der Zuwanderten aus Italien stammte und die Italienerinnen und Italiener noch als «Tschinggen» galten (Maiolino, 2011), «provozierten» sie aber noch Überfremdungsängste und liessen ein diskriminierendes Fremdenrecht notwendig erscheinen (Haug, 1980). Heute hingegen werden sie anerkannt, gefördert, gelobt – damit ihre gesellschaftliche Integration gelingt. Die offizielle Politik präsentiert uns einen «ausländischen Mitmenschen» (BBl 1995, S. 34), einen «Citoyen» (EKM, 2010), der als fester «Bestandteil unserer Gesellschaft und Wirtschaft» geachtet wird (EKA, 1996, S. 3; Herv. i.O.;). Die Zugewanderten gelten als wertvolles Potential (BBl 2002, S. 3797; Piguet, 2006, S. 121). Jene krude Arbeitskraft, die sich fremdenpolizeilich verwalten, rotieren, erneuern, flexibilisieren lässt, scheint der Vergangenheit anzugehören (TAK, 2009). Die «mächtige Idee» (Wicker, 2009, S. 24) der Ausländerintegration liess die ausländische Arbeitskraft zu einem «selbstverständliche[n] Teil unseres täglichen Lebens» (BIGA & BFA, 1991, S. 27) werden. Sie transformierte die Arbeitskräfte zu jenen Menschen, die Max Frisch (1965, S. 7f.) schon in seinem berühmten Traktat zur Schweizer Gastarbeiterpolitik der 1960er Jahre dem kleinen Schweizer «Herrenvolk» vor Augen hielt: Menschen, die auffallen, die anders sind, eine andere Sprache sprechen und zu viert in einem Schlafraum singen; die in Läden stehen, kaufen und nach einem Arbeitsunfall in Schweizer Krankenhäuser liegen. Wir haben es offensichtlich nicht mehr nur mit einer verwertbaren Arbeitskraft zu tun, sondern auch mit einem lebendigen Subjekt in seiner gesellschaftlichen Verwurzelung (Foucault, 2006a, S. 111; Negri, 2007, S. 26ff.). Das Leben wird hier in seiner Ausprägung als menschliches Zusammenleben relevant gemacht. Nicht die Biologie oder Humanmedizin bringt diesen Menschen hervor, sondern das politische Verwaltungsprogramm der Integration, das sich soziologischer, psychologischer, kulturwissenschaftlicher wie auch sozialarbeiterischer Kategorien bedient (Foucault, 1987, S. 243).

Die Analyse der politischen Vermenschlichung der ausländischen Arbeitskräfte eröffnet der Sozialen Arbeit eine kritische, gar provokative Lesart ihrer selbst. Denn ganz offensichtlich begann die ausländerpolitische Verwaltung sich dasjenige migrantische Subjekt anzueignen, um das sich die interkulturelle Soziale Arbeit bis heute kümmert: den Menschen hinter der Arbeitskraft. Sozialpädagogik und Sozialarbeit waren mit der «Humanisierung der Migration betraut und konnte[n] ihre Zuständigkeit darin einfordern und legitimieren» (Böhnisch et al., 2005, S. 210). Die Migrantinnen und Migranten, denen ehemals die «Mitgliedschaft symbolisch und faktisch verweigert» wurde, die «zusätzlich zur sozialen Marginalisierung noch Stigmatisierung» erfuhren (Auernheimer, 2006, S. 194), mutierten inzwischen zu jenen Subjekten, die die Soziale Arbeit zuallererst sieht: «Menschen in ihren Ressourcen und Kompetenzen der Lebensbewältigung» (Thiersch, 2013, S. 213). Es muss zunächst einmal irritieren, dass die von Thiersch (2013, S. 213) geforderte «unbedingte Anerkennung des Anderen in seinem Menschsein» zu einem dominanten Ausdruck der politischen Migrationssteuerung avancierte. Diesen regierungspolitischen Figurationen des ausländischen Objekt-Subjekts und dem Steuerungsregime, das sich der in der Schweiz wohnhaften ausländischen Bevölkerung annimmt, gilt das Interesse der vorliegenden Ausführungen. Allerdings kann es in einem ersten, bloss vorläufigen Aufriss, nur darum gehen, diesen Vermenschlichungsprozess zu veranschaulichen und auf seine gouvernementalen Implikationen hin aufzuschlüsseln. Die weiterführende Auseinandersetzung um eine mögliche Positionierung der Sozialen Arbeit steht damit noch aus.

Übersicht

In einem ersten Schritt präzisiert Kapitel 2 die Forschungsperspektive, die im Anschluss an Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität theoretisch fundiert wird. Die weiteren Ausführungen gelten den elementaren methodischen Fragen und Instrumenten. In einem weiteren Schritt werden die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert. Kapitel 3 bis 5 widmen sich den zentralen diskursiven Manövern, die sich aus dem untersuchten Material herauspräparieren liessen. Wird die Ausländerin, der Ausländer zunächst als rohe Arbeitskraft rationalisiert (Kapitel 3), so gewinnt sie, er im Kontext einer sich zuspitzenden Überfremdungspolitik frappanterweise an menschlichen Konturen. Diese menschlichen Ausländerinnen und Ausländer der Überfremdungspolitik stellen aber zugleich eine Gefährdung des einheimischen Lebens dar (Kapitel 4). Mit diesem Dilemma sieht sich die damalige offizielle Politik konfrontiert. Schliesslich begegnen wir im Kontext der in den 1960er und 1970er Jahren neu entworfenen Eingliederungspolitik einem dritten ausländischen Subjekt, das nun aber nicht mehr vorrangig als Bedrohung erlebt wird (Kapitel 5). Dieses Subjekt wird sich die Integrationspolitik der 1990er Jahren aneignen, um es entsprechend zu führen. Kapitel 6 schlägt eine Brücke zur Gegenwart und zeigt, was für ein «Anwendungsfeld der Regierungspraxis» die Eingliederungspolitik einrichtete, um auch heute «bestmöglichst zu regieren» (Foucault, 2006b, S. 14).

 

2       Der politischen Menschwerdung auf der Spur

Die Analyse der politischen Menschwerdung ausländischer Arbeitskräfte verlangt zunächst einmal keine philosophische Anstrengung und sie unternimmt auch keine anthropologische Exploration. Vielmehr gilt es eine politische Figuration, ein Regime heraus zu präparieren. Foucault zufolge entsteht eine Gestalt von Subjektivität aus dem Zusammenspiel von Macht- und Wissensformen. Sie erscheint uns als Effekt eines Kräfteensembles. Es sind Wissenskategorien, Praktiken oder Techniken, die das Subjekt hervorbringen (Stäheli & Tellmann, 2002, S. 239; Bublitz, 2003, S. 88). Der Mensch bildet so gesehen einen Fluchtpunkt von Definitions- und Steuerungsanstrengungen, die auf ihn einwirken und mit denen er auch auf sich selbst einwirkt. In diesem subjekttheoretischen Verständnis wird der Mensch aber nicht als gefügiges Opfer von Machtinterventionen begriffen, nicht als determiniertes Produkt, wie Ulrich Bröckling (2007, S. 22) feststellt, sondern als Produktionsverhältnis, das permanent im Gang ist. Das Subjekt kann es nur «im Gerundivum» geben, «als wissenschaftlich zu erkundendes, pädagogisch zu förderndes, therapeutisch zu stützendes und aufzuklärendes, rechtlich zu sanktionierendes, ästhetisch zu inszenierendes, politisch zu verwaltendes, ökonomisch produktiv zu machendes usw.» (a.a.O.).

Diesem Verhältnis von Subjektivierungsprozessen und Regierungsformen soll im vorliegenden Beitrag unter Berücksichtigung von Foucaults (2006a; 2006b) Analytik der Gouvernementalität nachgegangen werden. Zu regieren bedeutet hiernach, «Bevölkerungen im Hinblick auf bestimmte politische Ziele aufzustellen und zu ordnen, Subjekte sowie deren Praktiken und Überzeugungen zu produzieren und zu reproduzieren» (Butler, 2005, S. 70). Das Konzept der Gouvernementalität, so Lemke (2007, S. 45), erlaubt «eine umfassende Analyse gesellschaftlicher Machtprozesse, die der politischen Bedeutung von Programmrationalitäten und Wissensformen auf der einen und Subjektivierungsformen und Selbsttechniken auf der anderen Seite Rechnung trägt.» Davon ausgehend, lässt sich die Migrations- und Integrationspolitik mit dem von Foucault vorgeschlagenen weiten Begriff der Regierung analytisch fassen. Über den öffentlich-rechtlichen Begriff der Staatsregierung hinausreichend, umfasst sie die «Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung» (Foucault, 1996, S. 118): Wissensformen, Praxen oder Dispositive, die dazu dienen, «das Feld eventuellen Handelns der anderen zu strukturieren» (Foucault, 1987, S. 255). Die «Kunst des Regierens» (Foucault, 2006b, S. 13) stellt eine reflektierte Weise, ein Nachdenken darüber dar, wie man am besten regiert – ein praktisches Wissen, das eine spezifische Regierungspraxis zu begründen und anzuleiten beansprucht (Bröckling & Krasmann, 2010, S. 24). Begreifen wir den offiziellen Integrationsdiskurs der schweizerischen Bundesverwaltung als Regierungswissen, so werden wir analysieren können, wie er das ausländische Subjekt als seinen Gegenstand ordnet und dieses an Zweckbestimmungen ausrichtet, wie er Begriffe modelliert, Ereignisse oder Dinge problematisiert, um sie auf eine ganz bestimmte Weise zu bearbeiten.

Methodisch ist der Beitrag als genealogische Diskursanalyse angelegt (Foucault, 1991; Foucault, 1983). Untersucht wird eine Diskursformation, die sich als politisches Regierungsprogramm identifizieren lässt (Bröckling, 2007a, S. 33; Lemke et al., 2000, S. 20ff.). Die Analyse verfährt dabei streng diskursimmanent: Die öffentliche Wahrnehmung des Fremden, parteipolitische Manöver oder historische Ereignisse wie Kriege oder Wirtschaftskrisen werden vom Standpunkt der Regierung ausgehend rekonstruiert. Sie interessieren also nur insoweit sie sich als Gegenstand der ausländerpolitischen Regierungsreflexion manifestieren, in Problemdiagnosen oder konzeptionellen Überlegungen wirksam werden. Dabei treibt die Genealogie der politischen Vermenschlichung der Arbeitskräfte die historische Analyse von einer gegenwärtigen Fragestellung aus voran (Foucault, 1991): Wie ist das ausländische Objekt-Subjekt als Gegenstand der Migrationsregierung zu jenem Menschen geworden, den es heute ist? Wo kam dieses Denken der gesellschaftlich integrierten Arbeitsmigrantinnen und -migranten auf, wie nahm die Vermenschlichung der Arbeitskraft Gestalt an und in welchem historischen Kontext gewann sie an Bedeutung (Dreyfus & Rabinow, 1987, S. 148)? Die hier präsentierte «Geschichte der Gegenwart» (Foucault, 1979, S. 43) will aber nicht erfassen oder verstehen, wie die Vergangenheit wirklich war (Dreyfus & Rabinow, 1987, S. 237), sondern die Kräfte zurückverfolgen, aus denen das gegenwärtig vorherrschende Subjekt der Regierung entstanden ist. Dabei setzt sie den Schwerpunkt forschungspragmatisch auf die Analyse des offiziellen Verwaltungsdiskurses der 1960er und 1970er Jahren, wie er sich vornehmlich in Botschaften des Bundesrates (die die Entstehung und die politischen Zielsetzungen eines rechtsetzenden oder nicht-rechtsetzenden Erlasses oder Entscheids darstellen und kommentieren) und in Berichten und Konzepten der Bundesverwaltung zu wichtigen ausländerpolitischen Fragen oder Ereignissen (in denen ausländer- respektive integrationspolitische Strategien, Massnahmen oder Instrumente beurteilt, reformuliert oder neu entwickelt werden) dokumentiert.

 

3       Vermenschlichung als arbeitsökonomische Notwendigkeit: der Mensch der Arbeitskräftepolitik

Rotierende Arbeitskräfte

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg setzte in der Schweiz der Wirtschaftsaufschwung ein und führte zu einem zunehmenden Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Da die Schweizer Industrie über einen intakten Produktionsapparat verfügte, wurde sie alsbald mit ausländischen Aufträgen überhäuft. Es herrschte ein akuter Arbeitskräftemangel. Ohne Hunderttausende von ausländischen Arbeitskräften liess sich die Schweizer Wirtschaft nicht in Gang halten, wie der Bundesrat damals meinte (BBl, 1969, S. 1060). Um die Rekrutierung italienischer Arbeitskräfte zu beschleunigen, schloss die Schweiz mit Italien eine Vereinbarung ab (BBl, 1964, S. 1001f.). Dieses erste Abkommen mit Italien vom 22. Juni 1948 beruhte auf dem Saisonnierstatut und sah für die zuwandernden Arbeitskräfte keine Niederlassung vor. Das Rotationssystem verlieh der Einwanderung einen «reversiblen, provisorischen Charakter» (Piguet, 2006, S. 20): Die Aufenthaltsdauer wurde beschränkt, die gesellschaftliche Einnistung der Ausländerinnen und Ausländer verhindert, um damit letztlich das Anwachsen des Bestandes an ausländischen Staatsangehörigen zu unterbinden. Dieses Arrangement erlaubte weder den Familiennachzug noch soziale Sicherungsleistungen oder einen Anspruch auf Stellenwechsel. Die ökonomische Verwertung des ausländischen Arbeitskräftepotentials wurde mit dem expliziten Ausschluss aus allen anderen gesellschaftlichen Bereichen verbunden (Wimmer, 2005, S. 145). Die Gastarbeiterpolitik der Nachkriegszeit (EKA, 1999, S. 1; Wicker, 2003, S. 27; Haug, 1980, S. 43ff.) behandelte die Zugewanderten als jene Wandermigrantinnen und -migranten, die kamen, um wieder zu gehen – die nicht zu jenen Fremden wurden, die Georg Simmel (1992, S. 764) in seinem berühmten Exkurs über den Fremden von 1908 beschrieb: «der Wandernde, […] der heute kommt und morgen bleibt». Integration in die «nationale Gemeinschaft» war von offizieller Seite nicht erwünscht (Piguet, 2006, S. 21). Der Bundesrat bekräftigte damals, dass von diesem Übereinkommen nicht bloss das eigene Land, sondern auch die ausländische Bevölkerung profitieren würden: Die italienischen Arbeitskräfte schätzten sich «glücklich, vorübergehend Arbeit zu finden in einem Nachbarland, dessen Lebens- und Arbeitsbedingungen damals über jenen der meisten übrigen europäischen Staaten lagen» (BBl, 1964, S. 1002) – so die offizielle Wahrnehmung.

Druck aus Italien

Anders als erwartet, normalisierte sich weder die Wirtschaft noch ging die Zahl der zugezogenen ausländischen Arbeitskräfte zurück. Im Gegenteil, die starke Zuwanderung bewirkte einen markanten Zuwachs der ausländischen Wohnbevölkerung: Zwischen Februar 1950 und Februar 1960 stieg der «Bestand an kontrollpflichtigen ausländischen Arbeitskräften» auf das Dreifache, von 90’112 auf 275’291 Personen (BBl, 1967, S. 73). Inzwischen hatte sich die Situation der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter tiefgreifend verändert (BBI, 1964, S. 1002). Es kam nicht nur zu einer ständigen Zunahme der ausländischen Arbeitskräfte, sondern auch zu einer Verlängerung ihrer Anwesenheit. Die prekären Aufenthaltsbedingungen provozierten grundlegende Kritik. Die italienische Regierung forderte zu Beginn des Jahres 1961 von der Schweiz, die rechtliche und soziale Situation der Italiener zu verbessern. Sie setzte die Revision der alten Vereinbarung vom 22. Juni 1948 auf die politische Agenda. Nach anfänglich stark divergierenden Meinungen und mehrjährigen, mehrmals unterbrochenen Verhandlungen, gelangten die beiden Länder zu einem Accord (Mahnig & Piguet, 2003, S. 72). Von der Einsicht angetrieben, dass die «schweizerische Wirtschaft noch während langer Zeit auf eine grosse Zahl ausländischer Arbeitskräfte angewiesen» sei, propagierte der Bundesrat (BBl, 1964, S. 1010) nun eine politische Haltung, die den «menschlichen und familiären Belangen dieser Arbeitskräfte in vermehrtem Masse Rechnung» tragen würde.

Der Konjunkturpuffer als Familienmensch

Sollten mit dem ersten Abkommen mit Italien verwaltungsmässige und praktische Schwierigkeiten bei der Aus- und Einwanderung der italienischen Arbeitskräfte in die Schweiz beseitigt werden, so wurden mit dem zweiten Abkommen vom 4. November 1964 die Aufenthaltsbedingungen der Ausländerinnen und Ausländer verbessert (ebd., S. 1001): Der Bund gewährte einen rascheren Familiennachzug (nach 18 statt nach 36 Monaten), räumte nach fünf Jahren das Recht auf eine Aufenthaltsbewilligung (wenn auch nicht auf eine Niederlassungsbewilligung) ein und erlaubte fortan, die Arbeitsstelle oder den Beruf zu wechseln (Niederberger, 1981, S. 65ff.; D’Amato/Gerber, 2005, S. 19). Nun sollten die «Dinge» nicht mehr nur unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, sondern «den menschlichen Aspekten» vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden (BBI, 1964, S. 1021). Dem Familiennachzug kam in moralischer Hinsicht besondere Bedeutung zu: «Die Trennung von seinen Angehörigen bedeutet für den Arbeitnehmer eine grosse Härte, zumal er in einer fremden Umgebung lebt und die Trennung auf die Dauer nicht ohne ernsthafte Rückwirkung auf seine persönlichen Verhältnisse bleibt» (ebd., S. 1009). Auch Max Frisch entdeckte in den von Alexander J. Seiler aufgezeichneten Gesprächen mit italienischen Arbeiterinnen und Arbeitern, dass alle von der Familie sprachen: «Das ist ihr Ethos (…): Trennung von der Familie, Sparen für die Familie, Wohnen mit der Familie, die Hoffnung auf ein kleines Haus nicht in der Fremde, sondern in Sardinien oder in de Romagna oder in Sizilien, davon ist immer wieder die Rede» (Frisch, 1965, S. 9). Die rechtliche Besserstellung der ausländischen Arbeitskräfte, könnte man zugespitzt sagen, vollzog sich hier über eine diskursive Refamiliarisierung: Der Fremdarbeiter, die Fremdarbeiterin trat nun als Familienmensch in Erscheinung.

Arbeitsökonomische Strategie der Vermenschlichung

Mit dem zweiten Abkommen mit Italien distanzierte sich die offizielle Ausländerpolitik vom Fremdarbeiter als «Konjunkturpuffer» (EKA, 1999, S. 1). Die bisherige politische Steuerung der abstrakten Arbeitskraft begann den Ausländer, die Ausländerin als ein Individuum mit menschlichen Qualitäten zu adressieren – wenn auch noch etwas zaghaft und förmlich. Die rechtlichen Zugeständnisse dienten offenkundig dem Erhalt bewährter Arbeitskräfte. Denn die politische Wahrnehmung der menschlichen Bedürfnisse der italienischen Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter antwortete auf die Tatsache, dass «auf längere Zeit hinaus auf diese Arbeitskräfte nicht verzichtet werden» konnte (BBl, 1964, S. 1021). Aus behördlicher Sicht bildete der Deal mit Italien eine Strategie der konjunkturbedingten Rekrutierungspolitik: Der Mangel an Arbeitskräften, insbesondere an qualifizierten, veranlasste den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass der Wirtschaft «die seit einer Reihe von Jahren bei uns tätigen Arbeitskräfte erhalten bleiben» (a.a.O.). Die Humanisierung der Ausländerpolitik folgte einer ökonomischen Rationalität. So meinte der Bundesrat (ebd., S. 1023) weiter: «Wenn wir Familienväter beschäftigen, können wir ihnen den Nachzug der Familie auf die Dauer nicht verweigern». Die ausländer- oder besser arbeitsmarktpolitische Programmatik des Bundes verklammerte die «Wahrung des Gebotes der Menschlichkeit» mit den «Bedürfnisse[n] der Wirtschaft» (BBl, 1967, S. 91). Ohne Menschlichkeit waren die wirtschaftlich unverzichtbaren Arbeitskräfte wohl kaum mehr zu haben.

 

4       Der menschliche Makel überfremdungswirksamer Arbeitskräfte: der Mensch der Überfremdungspolitik

Politisches Double Bind

Die rechtliche und soziale Besserstellung der Fremdarbeiter korrelierte damals mit einer akzentuierten Wahrnehmung derselben als Überfremdungsgefahr. Die Angst vor Überfremdung spitzte sich nicht nur in der Öffentlichkeit zu. Auch der Bundesrat stellte klar, dass die Gefahr einer Überfremdung einen Grad erreicht hatte, der sich «den Grenzen des Tragbaren näherte» (BBl 1967, S. 78). Die Menschen, die nun vermehrt bleiben würden, waren Teil einer «rasche[n] und massive[n] Zunahme der in unserem Lande niedergelassenen ausländischen Bevölkerung», die «aus Überfremdungsgründen vermieden werden» musste (BBl, 1964, S. 1006). Die Erleichterung des Familiennachzuges begünstigte ein quantitatives Anwachsen der ausländischen Bevölkerung. Diese Konsequenz müsse aber in Kauf genommen werden, wenn man sich «der moralischen und menschlichen Forderung des Familiennachzuges nicht entschlagen» wolle (ebd., S. 1023). Als Abhilfe schlug der Bundesrat erstens vor, die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte auf ein Mass herabzusetzen, «dass auch die Verheirateten unter ihnen mit der Familie zusammenleben können, ohne der Überfremdung weiteren Vorschub zu leisten» (a.a.O.). Zweitens dürfe dem Wunsch auf «sofortigen Nachzug der Familie auf keinen Fall entsprochen» werden (ebd., 1009). Der Bundesrat erachtete eine Wartefrist als unerlässlich. So konnte festgestellt werden, «ob der neuzugereiste Ausländer gewillt und fähig» war, sich an die schweizerischen Lebens- und Arbeitsverhältnissen anzupassen (ebd., S. 1010). «Charakterlich und beruflich ungeeignete Ausländer» mussten «möglichst rasch wieder zum Verlassen des Landes angehalten werden» (a.a.O.).

Mit den beiden vorgeschlagenen Strategien suchte der Bundesrat nach einem Weg, um zwischen widersprüchlichen Interessen vermitteln zu können. Zum einen hatte er es mit den Interessen von verschiedenen Wirtschaftszweigen zu tun (Mahnig & Piguet, 2003, S. 105). In seinen Botschaften zu den überfremdungspolitischen Initiativen der 1960er und 1970er Jahren vertrat er gegenüber einer einseitigen quantitativen Begrenzung des Ausländerbestandes eine ablehnende Haltung. Dezidiert kritisch äusserte er sich zur im zweiten Volksbegehren vom 19. Juni 1969 (Schwarzenbachinitiative) formulierten Forderung, die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer in jedem Kanton auf 10 Prozent der schweizerischen Staatsangehörigen zu beschränken. Die wirtschaftlichen Auswirkungen schätzte er als verhängnisvoll ein (Niederberger, 1981, S. 83f.). Die bereits schon erfolgten «massvollen Vorkehren» hätten von der Wirtschaft «beträchtliche Opfer verlangt und in vielen Fällen zu grossen Härten geführt» (BBl, 1969, S. 1059).

Zum anderen musste er auch die Forderung der fremdenfeindlichen Bewegungen berücksichtigen. In der Öffentlichkeit fanden diese zunehmend Rückhalt. Hinzu kam, dass das zweite Abkommen mit Italien für eine heftige Vertrauenskrise gesorgt hatte, die sich bis in die 1970er Jahren zog und gemäss Niederberger (1981, S. 68) alle anderen Vertrauenskrisen seit dem 2. Weltkrieg «bei weitem übertraf». Zum aussenpolitischen Druck Italiens kam nun also ein innenpolitischer Druck hinzu (Mahnig & Piguet, 2003, S. 104ff.). In aller Deutlichkeit zeigte sich die Beunruhigung der Bevölkerung in den zwischen 1965 und 1974 eingereichten fünf Volksbegehren gegen die Überfremdung.[1] Anders als beim ersten Volksbegehren befürworteten jetzt weite Teile der Bevölkerung die Ziele der zweiten Schwarzenbachinitiative (Niederberger 1981, S. 83f.).Der Bundesrat sah sich gezwungen, eine Kompromisspolitik zu betreiben, die sich zwischen zwei politischen Polen aufspannte: Erstens reagierte er auf den aussenpolitischen Druck von Italien mit einer rechtlichen Besserstellung der «Fremdarbeiter». Wie wir bereits sahen, diente diese Konzession auch der wirtschaftlichen Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften. Dem ersten Interessenspol stellte sich dann ein gegenläufiger innenpolitischer Druck entgegen, der die staatspolitische Gefahr der Überfremdung betonte. In dieser Hinsicht teilte der Bundesrat mit den Überfremdungsinitianten und der aufgebrachten Bevölkerung die Einschätzung, dass die «fortdauernde Überfremdungsgefahr» weiterhin Abwehrmassnahmen notwendig mache (BBl, 1967, S. 106).

Aus heutiger Sicht präsentiert sich die Position des Bundesrates in hohem Masse paradox: Einerseits erlaubte die rechtliche Besserstellung das wirtschaftlich benötigte ausländische Arbeitskräftereservoir aufrecht zu erhalten. Andererseits konditionierte dieselbe menschlichere Arbeitskräftepolitik eine weitere Gefahrenstufe der Überfremdung, denn sie begünstigte die Festsetzung und das Anwachsen der ausländischen Bevölkerung. Was die offizielle Politik notgedrungen bekämpfen musste, förderte sie gleichzeitig im Rahmen des Abkommens mit Italien. Die Zuwanderung der ausländischen Arbeitskräfte, die der Bundesrat aus überfremdungspolitischen Überlegungen abwehren musste, bildete gleichzeitig den unentbehrlichen Treibstoff der Schweizer Wirtschaft. Die konkurrierenden Positionen, in die sich der Bundesrat verstrickte, ziehen sich durch sämtliche Botschaften und Berichte zu den fünf Überfremdungsinitiativen hindurch (BBl, 1967; BBl, 1969; BBl, 1973; BBl, 1976a; BBl, 1976b). Denn die sich zuspitzenden widersprüchlichen Kräfte stellten die politische Stabilität des Landes ernsthaft in Frage. In diesem spannungsreichen Dreiecksverhältnis zwischen staatpolitischer Überfremdungsabwehr, wirtschaftlicher Arbeitskräfterekrutierung und rechtlicher Besserstellung der ausländischen Arbeitskräfte begann sich die offizielle Wahrnehmung des Überfremdungsproblems zu verschieben.

Gefährdung des ganzen Lebens

Der Bundesrat ging dazu über, die Gefahr einer Überfremdung nicht mehr einseitig als ein demographisches Problem oder als ein Problem der Aufenthaltsdauer quantitativ zu rationalisieren (BBl, 1967, S. 89). Die Zugewanderten wurden nun umfassend und vornehmlich qualitativ problematisiert, als Menschen in ihren Lebenszusammenhängen. Die «Probleme, die sich aus dem Zusammenleben von Schweizern und Ausländern» (EKA, 1979, S. 8) ergaben, rückten in den Mittelpunkt des überfremdungspolitischen Denkens. Diese neue Kunst des Regierens interessierte sich nicht nur für die berufliche Eignung. Sie liess auch die persönliche «Fähigkeit zur Eingliederung und Assimilation» (BBl, 1973, S. 203) relevant werden. Jetzt ging es um den «ganzen Menschen» (Studienkommission, 1964, S. 172) und nicht mehr nur um eine abschöpfbare produktive Arbeitskraft: «Ebenso wichtig wie die Eignung zur Arbeit ist die Eignung zur Eingliederung in die Bevölkerung» (ebd., S. 171). Das Problem der ausländischen Arbeitskräfte wurde nun unter ökonomischen, bevölkerungspolitischen, soziologischen und staatspolitischen Gesichtspunkten analysiert (ebd., S. 7). Behandelt wurden die vielfältigen «Ursachen der zwischen den beiden Bevölkerungsteilen bestehenden Spannungen und des in einem grossen Teil der Schweizer Bevölkerung herrschenden Unbehagens» (BBl, 1973, S. 216). Nun präsentierte sich die Überfremdung als eine Gefahr, die «das ganze Leben» umfasste, den eigenen «Lebensstil», der doch eigentlich «mit schweizerischem Geist» erfüllt sein sollte (Studienkommission, 1964, S. 135).

Mit der Soziologisierung, Kulturalisierung und Psychologisierung des Problems mit den ausländischen Arbeitskräften (Studienkommission, 1964; Eidgenössische Konsultativkommission für das Ausländerproblem EKA) multiplizierten sich in der Verwaltungsprogrammatik die Überfremdungsgefahren. Zu bekämpfen galt es jetzt auch die wirtschaftliche Überfremdung, einen Zustand, «in dem innerhalb der einheimischen Wirtschaft dem ausländischen Einfluß (Arbeitskräften, Unternehmern, Kapitalinvestitionen usw.) eine übermäßige Bedeutung zukommt» (Studienkommission, 1964, S. 130f.). Die Überfremdung des Grundeigentums problematisierte das «bedrohliche Ausmaß», das der «fremde Einfluß» infolge zahlreicher Grundstückkäufe durch ausländische Staatsangehörige angenommen hatte (Studienkommission, 1964, S. 132). Die geistige Überfremdung wiederum betraf sämtliche «Gebiete des schweizerischen Geisteslebens – Literatur, bildende Kunst, Theater, Film, Presse, Radio, Fernsehen, Erwachsenenbildung, Museen, Universitäten» (ebd., S. 135). Gefährdet waren «alle Lebensbereiche eines Volkes, seine Staatsauffassung, sein gesellschaftliche[r] Aufbau, seine allgemeine Geisteshaltung und seine Wirtschaft» (ebd., S. 136) – die Sitten, Gebräuche und politischen Ideen, die moralischen Werte und das «Gefühl der Anhänglichkeit und Hingebung an das Vaterland» (ebd., S. 128).

Auch Piguet (2004, S. 27) beobachtet, dass immer häufiger der übermässige Einfluss der nicht oder ungenügend assimilierten Ausländerinnen und Ausländer auf das wirtschaftliche, intellektuelle und geistige Leben der Schweiz ins Spiel gebracht wurde. Der fremde Einfluss konnte so überhandnehmen, dass die schweizerische Eigenart und Eigenständigkeit ernsthaft darunter litten (vgl. BBl, 1973, S. 203; BBl, 1967, S. 88; BBl, 1969, S. 1061f.; Studienkommission, 1964, S. 136). Offensichtlich liess sich die «Gefahr der Verfremdung» nicht mehr quantitativ, «bloß nach der Höhe des Anteils der ausländischen Bevölkerung» bemessen (Studienkommission, 1964, S. 128). Entscheidend wurde nun vielmehr der Einfluss der nicht assimilierten Ausländerinnen und Ausländer auf das gesellschaftliche Leben. Zusätzlich zur fremdenpolizeilichen Zulassungsbegrenzung erforderte die Abwehr der Überfremdung geeignete Massnahmen, «um den Ausländern die Eingliederung in die schweizerische Gemeinschaft zu erleichtern» (BBl, 1978, S. 175; Herv. i. O. vgl. dazu auch BBI, 1967, S. 100ff.; BBl, 1969, S. 1062ff.; BBl, 1973, S. 212; BBl, 1976a, S. 1367; BBl, 1976b, S: 1378). Die gesellschaftliche Eingliederung der Ausländerinnen und Ausländer wurde hier als eine Strategie der fremdenpolizeilichen Überfremdungsabwehr konfiguriert, die insbesondere menschliche und soziale Belange berührte, wie der Bundesrat meinte (BBl, 1979, S. 620). So kam es, dass sich der Kampf gegen Überfremdung weit in die gesellschaftlichen Milieus zerstreute und die unterschiedlichsten Aspekte des gesellschaftlichen Lebens der Menschen berührte.

 

5       Vermenschlichung als fremdenpolizeiliche Strategie: der Mensch der Eingliederungspolitik

Überfremdung im Zeichen der Anpassung

Der Bundesrat unterschied nun zwischen Ausländerinnen und Ausländer, die «überfremdungsmässig stark ins Gewicht» fielen und solchen, die «weniger oder überhaupt nicht überfremdungswirksam“ waren (BBl, 1967, S. 89). Bei der Beurteilung der Überfremdung spielte das Kriterium der Assimilation eine entscheidende Rolle. Ungenügende «Assimilationsfähigkeit» oder mangelnder «Assimilationswillen der fremden Volksgruppe» (Studienkommission, 1964, S. 137) erhöhten das Überfremdungsrisiko. Je mehr sie sich hingegen den schweizerischen Verhältnissen anpassten, desto weniger fielen sie «überfremdungsmässig» ins Gewicht (BBl, 1973, S. 203). Dem qualitativen Kriterium der Assimilation wurde eine die Überfremdung antagonisierende Wirkung zugesprochen (BBl, 1967, S. 100). Ob die «allmähliche Annäherung und Angleichung des Ausländers an die Kultur der Schweiz durch die Übernahme unserer Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche, unserer Wertvorstellungen sowie unserer Denkweise» gelang, hing von verschiedenen Faktoren ab (BBl, 1976a, S. 1361; vgl. dazu auch EKA, 1973, S. 7ff.). Erleichtert wurde die Anpassung durch «geeignete Unterkünfte und Verpflegung, welche die Wohn- und Eßgewohnheiten der Ausländer berücksichtigen, aber gleichzeitig den hiesigen Anschauungen» entsprachen (Studienkommission, 1964, S. 146). Die Befriedigung der «äußern Lebensverhältnisse“ und «die objektive Möglichkeit der Anpassung an die neue Umgebung» reichten allerdings nicht aus (ebd., S. 144). Eine gefühlsmässige Bindung seitens der Zugezogenen und die individuellen Fähigkeiten zur Assimilation wurden ebenfalls für wichtig erachtet. Ansonsten blieb die Ausländerin, der Ausländer «trotz beruflich gutem Fortkommen ein Fremder» (a.a.O.).

Weiter wurde auch die «Assimilationskraft der Schweiz» thematisiert (ebd., S. 151; vgl. dazu auch EKA, 1973, S. 4). Assimilation hing zum einen vom Willen und den Fähigkeiten der Zuziehenden und zum anderen aber auch von der «Aufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung» ab (BBl, 1967, S. 89). Das Assimilationspotential der Ausländerinnen und Ausländer entfaltete sich also korrelativ zur Assimilationskraft der schweizerischen Gesellschaft. Es bedurfte einer wohlwollenden Haltung der Einheimischen, eines passenden und förderlichen Milieus, damit die Assimilation der Fremdarbeiterinnen, der Fremdarbeiter gelingen konnte. Der Bundesrat wollte deshalb die eigene Bevölkerung dazu bewegen, dass sie ihre Abwehrhaltung Ausländerinnen und Ausländern gegenüber ablegte (ebd., S. 102).

Beziehungsarbeit als Überfremdungsabwehr

Überfremdungswirksam war nun aus politischer Sicht insbesondere, dass die Ausländerinnen und Ausländer den Einheimischen «fremd und teilnahmlos» gegenüberstanden (BBl, 1967, S. 88), keine Beziehung zu den staatlichen Grundlagen und Einrichtungen des Landes und nur «wenig Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung» hatten, weder «am Arbeitsplatz noch während der Freizeit» (ebd., S. 90). Die offizielle Wahrnehmung betonte die sozialen und kulturellen Passungs- und Beziehungsschwierigkeiten zwischen der einheimischen und ausländischen Bevölkerung. Problematisiert wurden «Absonderung» und «allzu grosse Kulturunterschiede», die «Überlegenheitsgefühle» der Einheimischen sowie deren Befürchtung, die Ausländerinnen und Ausländer würden das «Eigenleben der einheimischen Bevölkerung bedrohen» (ebd., S. 102) – weil damit die Annäherung zwischen der zugezogenen und der ansässigen Bevölkerung erschwert und Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungen alimentiert wurden. Auf allen Ebenen, so die Eidgenössische Konsultativkommission für das Ausländerproblem (EKA, 1973, S. 10), sollten deshalb die «Kontakte zwischen Einheimischen und Ausländern gefördert werden, insbesondere auch durch Veranstaltungen, innerbetriebliche Zusammenkünfte, Beizug von Schweizern und Ausländern zur Zusammenarbeit in den Sozialwerken usw.»

Statt die einzelnen Ausländerinnen und Ausländer zu «domestizieren», konzipierte die offizielle Politik den Assimilationsprozess als ein Annäherungsprozess der beiden Bevölkerungen. Die in Betracht gezogenen Massnahmen sollten in erster Linie die Ausländerin, den Ausländer in die Lage versetzen, mit Einheimischen in Kontakt zu treten: Verbesserungen der Verständigungsmöglichkeiten, Erzeugung von erwartbaren vertrauten Handlungen und Haltungen, Abbau von Vorurteilen. Die offizielle Programmatik entwarf die Eingliederung also keineswegs als ein perfektes Disziplinardispositiv. Dem Richtwert der Assimilation fehlte es an jener ausgefeilten Klassifikatorik und Bewertungsqualität, die das Normale von der Abweichung zu distinguieren vermochte (Foucault, 2006a, S. 98). In der damaligen Programmatik der Überfremdungsabwehr vermissen wir technologische Detailversessenheit und effiziente Prozeduren der Verhaltenskontrolle. Gemessen an Foucaults Diagrammatik der Disziplin blieb die fremdenpolizeiliche Anpassungsapparatur auffällig stumpf. Stattdessen wurde die Übernahme der schweizerischen Lebensgewohnheiten und Denkweisen (BBl, 1976a, S: 1361) als ein organisches Hineinwachsen der Ausländerinnen und Ausländer in die Schweizer Gesellschaft konzipiert (BBl, 1973, S. 215f.; EKA, 1973, S. 7f.). Assimilation als kulturelle und soziale Angleichung bildete die letzte Etappe eines gelingenden gesellschaftlichen Eingliederungsprozesses (BBl, 1976a, S. 1353). Sanfte Sozialtechnologien sollten die menschlichen Beziehungen zwischen Einheimischen und Zugezogenen entkrampfen und so den Assimilationsprozess begünstigen. Das liess sich nicht staatlich verordnen.

Vermenschlichung als politischer Einsatz

Mit der Eingliederungsstrategie erhielt die Überfremdungsabwehr ein humanistisches Antlitz: Die «Eingliederung der Ausländer an ihrem Arbeitsplatz und in unsere Gemeinschaft» musste aus «menschlichen, sozialen und auch wirtschaftlichen Gründen» erleichtert und gefördert werden (BBl, 1978, S. 183). Weil eine grosse Zahl von Ausländerinnen und Ausländern mit ihren Familienangehörigen langfristig in der Schweiz bleiben würde, sollten sich diese in der Schweiz einleben und heimisch fühlen können. Die fremdenpolizeiliche Überfremdungsabwehr entwarf jetzt ein lebendiges soziales Wesen, das sich in vielerlei gesellschaftlichen Milieus bewegte (Foucault, 2006a, S. 470). Sie liess die ehemalige Arbeitskraft zu einem «ganzen Menschen» werden – sowohl als gesellschaftliches Problem der Überfremdung wie auch als Antwort darauf, als Einsatz der Überfremdungsabwehr. Die Lebensverhältnisse gewannen als Ansatz der ausländerpolitischen Intervention an Bedeutung, Lebensstilfragen und auch das soziale Umfeld, das Zugewanderte aufnahm oder abwies. Ausländerinnen und Ausländer besassen individuelle Eigenschaften, kulturelle, soziale, psychologische oder ökonomische Eigenheiten – ein Innenleben, in dem sich der Assimilationsvorgang abspielte. Sie waren jetzt beziehungs-, lern- und anpassungsfähig. Diese Menschen, die politisch mehr als blosse Arbeitskräfte darstellten, musste die Fremdenpolizei nicht mehr nur administrieren. Ihre Tätigkeiten beschränkten sich nicht mehr aufs Verordnen. Mit der Eingliederungs- und Assimilationspolitik begann sie den menschlichen Aspekten, der Wechselwirkung zwischen den Ausländerinnen und Ausländern und Umwelt für die Aufenthaltssteuerung vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Die fremdenpolizeiliche Verwaltung umfasste nun «das ganze Leben».

Die menschlichen Eigenschaften der Ausländerinnen und Ausländer liessen sich bearbeiten, verändern, zum Guten wenden, um die kulturelle und soziale Passung und Beziehung zwischen den beiden Bevölkerungen zu optimieren. Mit ihrer Politik der Vermenschlichung reagierte die offizielle Politik zum einen auf die Überfremdungsängste in der Bevölkerung: Assimilierte Ausländerinnen und Ausländer wurden nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen. Zum anderen konnten so die ausländischen Arbeitskräfte – als angepasste, überfremdungsneutralisierte – erhalten werden. In diesem schwierigen Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Interessen und xenophoben Strömungen in der Bevölkerung entwarf die offizielle Ausländerpolitik ein neues eingliederungsfähiges, assimiliertes Ausländersubjekt, das von der eigenen Bevölkerung nicht mehr bekämpft werden musste und weiterhin als Arbeitskraft konsumiert werden konnte. Die fremdenpolizeiliche Assimilationspolitik rationalisierte die Ausländerin, den Ausländer nicht mehr nur als isolierte Arbeitskraft und auch nicht mehr bloss als Vektor der Überfremdung. Sie schuf den «ganzen Menschen» als Basis eines Assimilationsprozesses, an dessen Ende diese dritte politische Figur der assimilierten Ausländerin, des assimilierten Ausländers sichtbar werden konnte.

 

6       Übersetzungen in die Gegenwart

Das Mantra der schädlichen Masseneinwanderung

Die Geschichte der schweizerischen Ausländerpolitik lehrt uns, dass das Geschäft mit der ausländischen Arbeitskraft seinen politischen Preis hat. Bis heute stellt sich der offiziellen Politik die Migrationsfrage als ein schwieriger Balanceakt zwischen «gesamtwirtschaftlichen Interessen» auf der einen und «gesellschafts- und staatspolitischen» Anliegen auf der anderen Seite (BBl, 2002, S. 3726; vgl. dazu auch Art. 3 Abs. 1 AuG). Für die einen ist die Zuwanderung mit «grossen Möglichkeiten für unser Land verbunden» (Sommaruga, 2012). Den anderen gilt sie als gesellschafts- oder bevölkerungspolitische Herausforderung. Auch heute lässt das populistische Getrommel «gegen Masseneinwanderung» (SVP, 2011) nicht lange auf sich warten. Während der Verband der Schweizer Unternehmen economiesuisse (2013) die «massgeschneiderte Zuwanderung» in die Schweiz befürwortet und um eine sachliche Diskussion bemüht ist, geisselt die SVP mit ihrer Volksinitiative den «unkontrollierten Zustrom aus der EU» (SVP, 2011, S. 3). Streicht der Wirtschaftsverband die positiven Seiten der Personenfreizügigkeit mit der EU heraus, so bekämpft die rechtskonservative Partei die «offenen Grenzen» (a.a.O.). Im Kampf gegen «Masseneinwanderung» bedient sie sich Metaphern, die bereits anno 1924 gegen die Überfremdung der Schweiz wirksam gemacht wurden. Schon in den Geburtsstunden des ersten nationalen Ausländergesetzes gelangte der Bundesrat zum Schluss, dass die «Stärke des Zustroms im Verhältnis zur schweizerischen Bevölkerung» die «Aufnahmefähigkeit des Landes» strapaziere (BBl, 1924, S. 502). Damals gerieten nicht nur die «unwürdigen und gefährlichen» Ausländerinnen und Ausländer in den Blick, sondern speziell auch die «Massenzuwanderung fremder Arbeitskräfte» (BBl, 1926, S. 325). Sie trieb das Ansteigen der «Ausländerkurve» (BBl, 1924, S. 509) an, die den Grad der Überfremdung anzeigte.

Gegenwärtig ächzt die Schweiz auch unter dem Bevölkerungswachstum, womit sich die «Ausländer- zur Wachstumsdebatte» auszuformen scheint (Wehrli, 2011). Die Zuwanderung wird als wesentlicher Faktor einer problematischen Bevölkerungsentwicklung identifiziert. Wenn die Zahl der Menschen so weiterwachse, würden die natürlichen Lebensgrundlagen in naher Zukunft gefährdet sein. Beklagt wird auch die Übernutzung der unnatürlichen Infrastrukturen: überfüllte Züge und verstopfte Autostrassen. Von rasant steigenden Miet- und Immobilienpreisen ist die Rede, von Dichtestress, Engpässen und Platzmangel. So werden die Auswirkungen der seit Juni 2002 zwischen den EU/EFTA-Staaten und der Schweiz bestehenden Personenfreizügigkeit und der Zuwanderung kommentiert (Däpp & Kaelin, 2012). «Erträgt die Schweiz acht Millionen Einwohner?» fragt Henckel (2013) in die Welt nicht ohne sarkastischen Unterton, um gleich nachzudoppeln, dass der achtmillionste Einwohner aller Voraussicht nach wohl kein Schweizer und keine Schweizerin sein wird. Inzwischen gäbe es «kaum einen Ort mehr, an dem sich die Schweizer sicher fühlen vor Gedränge» (a.a.O.).

Bekämpft wird das unverhältnismässig starke Bevölkerungswachstum aktuell von einer zweiten Initiative, die die Zuwanderung begrenzen will. Die von der Vereinigung Umwelt und Bevölkerung lancierte Ecopop-Initiative bedient sich dazu ökologischer Argumente und operiert nachhaltigkeitsideologisch (Ecopop, 2013): Überbevölkerung beeinträchtige die Lebensqualität und zerstöre die natürlichen Ressourcen für die kommenden Generationen. Auch wenn sich die Ecopop-Initiantinnen und -Initianten von fremdenfeindlichen Ansichten explizit distanzieren, ordnet sich ihr Denken unweigerlich ins Dispositiv der Überfremdungsabwehr vergangener Tage ein. Die «Belastbarkeit des Lebensraumes» und «Begrenzungen für das demografisch-wirtschaftliche Wachstum» entwickelten sich bereits schon mit dem am 3. November 1972 eingereichten dritten Volksbegehren «gegen die Überfremdung und Übervölkerung der Schweiz» zum zentralen Topos xenophober Abwehrreflexe (BBl, 1973, S. 204f.).

Das «Gegengift» der Integration

Wir sehen also, dass sich die Zugewanderten niemals nur als stilles Arbeitskräftereservoir bewirtschaften lassen. Ohne politische «Kollateraleffekte» waren und sind sie weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart zu haben. So segenreich die Arbeitskräfte aus dem Ausland also sein mögen: Immer lösen sie auch ein Unbehagen unter den Einheimischen und Einheimischgewordenen aus, der politische Massnahmen notwendig werden lässt. Bundesrätin Simonetta Sommaruga (2012) identifiziert jenen «Zielkonflikt», der in diesem Zusammenhang immer wieder in den Mittelpunkt der offiziellen Ausländerpolitik rückte: zum einen die Anliegen der einheimischen Bevölkerung, die sich durch die rasche unbeschränkte Zuwanderung bedroht fühlt, zum anderen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes. Nüchtern macht Sommaruga (a.a.O.) klar, dass sich die Wirtschaft die Arbeitskräfte holen wird, die sie braucht – mit oder ohne Masseneinwanderungsinitiative. Der Bundesrat deklariert die SVP-Initiative gar als «schädlich für das wirtschaftliche Wachstum der Schweiz», sie würde die «Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität negativ beeinflussen» (BBl, 2012, S. 342). Wie schon in den 1960/1970er Jahren lassen sich die mit der Zuwanderung einhergehenden Widersprüche kaum einseitig, zugunsten der einen oder anderen Interessenlage auflösen. «Wie können wir den Zielkonflikt entschärfen?», fragt Sommaruga (2012) konsequenterweise.

Darauf findet die offizielle Politik eine prägnante Antwort, deren multiple «Entstehungsherde» (Maasen, 1998, S. 36) wir in den vorangehenden Ausführungen freigelegt haben: «Wie viele Menschen die Schweiz aufnehmen kann, hängt von der Qualität des Zusammenlebens in unserem Land ab» (BBl, 2012, S. 332). Reagierte der Bundesrat auf die quantitativ hohe Zuwanderung der ausländischen Arbeitskräfte aus dem EU/EFTA-Raum bereits zwei Mal mit der Anrufung der Ventilklausel[2], so hält er hier nun dem quantitativen Problem der Massenzuwanderung eine qualitative Strategie entgegen, die zwischen den divergierenden Interessen zu vermitteln vermag: Es ist die Integration, die die «Zuwanderung gesellschaftsverträglich» werden lässt (Sommaruga 2012). Die besorgten Initiantinnen und Initianten werden nicht mehr nur mit dem Argument besänftigt, dass die ausländische Bevölkerung eine unverzichtbare, den nationalen Wohlstand fördernde ökonomische Ressource sei. Vielmehr präsentiert die offizielle Programmatik ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisch anschlussfähiges Ausländersubjekt, das in seinen vielfältigsten persönlichen und gesellschaftlichen Eigenschaften wirksam gemacht wird. Noch nie eignete sich die Politik die Ausländerin, den Ausländer so umfassend an wie heute. Die Integrationspolitik, die sich seit den 1990er Jahren in der Schweiz und in weiteren westeuropäischen Staaten durchzusetzen begann, perfektionierte das in den 1960/1970er Jahren entwickelte Dispositiv der gesellschaftlichen Eingliederung. Vorangetrieben wird heute ein gesamtgesellschaftlicher Prozess der gesellschaftlichen Eingliederung der Ausländerinnen und Ausländer (EKM, 2010; BBl, 2002, S. 3797). Die Integration in den Arbeitsmarkt bildet dabei nur noch eine Dimension der angestrebten Partizipation der Ausländerinnen und Ausländer, die sich über alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erstrecken soll. Sämtliche Aspekte des wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens und sämtliche Eigenschaften der Menschen wurden zum potentiellen Gegenstand der Integrationspolitik erklärt (Piñeiro, 2010; Piñeiro & Haller, 2012). Die politische Vermenschlichung der Arbeitskräfte stellt den «ganzen Menschen» als Fundament dieser neuen Kunst des Regierens bereit, der es gelingt, liberale Fördern- und restriktive Fordernelemente miteinander zu verknoten (Wicker, 2009).

Die Soziale Arbeit tut gut daran, der Vermenschlichung der Arbeitskräfte nicht frühzeitig zu huldigen, auch wenn anstelle der technokratischen Arbeitskraftverwertung die gesellschaftliche Anerkennung des Menschen getreten ist. Frischs Kritik scheint zwar schon früh Früchte getragen zu haben. Bereits Mitte der 1970er Jahren treffen wir auf eine Denkweise der Regierung, die die Zugewanderten zu «ebenbürtige[n] Menschen» nobilitieren will (BBl, 1973, S. 215; BBl, 1976a, S. 1361; EKA, 1973, S. 9). Inzwischen wird jedoch augenfällig, was es bedeuten könnte, «ganze Menschen» in ihren gesellschaftlichen Milieus und nicht mehr nur Arbeitskräfte politisch zu verwalten. Mit dem Vermenschlichungsprogramm begann sich die Sozialtechnologie der Eingliederung und Integration extensiv und detailliert zu entfalten. Sie baute ihre statistischen Monitoringsysteme aus und entwickelte ein kaum mehr überblickbares Massnahmentableau, das potentiell alle gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure zu Verbündeten der Integrationsmission werden lässt. Die panoptische Lust dieses Verwaltungsprogramms scheint schier unerschöpflich zu sein. Offen bleibt vorerst, ob die Integrationspolitik ihren Perfektionierungsdrang eher liberal oder zunehmend repressiv befriedigen wird. Hingegen ist bereits jetzt schon klar, dass die Soziale Arbeit die offizielle Integrationspolitik mit ihren professionsethischen Ansprüchen konfrontieren muss.

 

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[1] Wurde die erste Überfremdungsinitiative nach ihrer Behandlung im Parlament zurückgezogen, so kamen die darauffolgenden vier Initiativen zur Abstimmung. Allesamt wurden sie in den Volksabstimmungen vom 7. Juni 1970, 20. Oktober 1974 und 13. März 1977 verworfen.

[2] Der Bundesrat führte erstmals am 18. April 2012 eine zahlenmässige Beschränkung der Zuwanderung aus den EU-8-Staaten ein und ein weiteres Mal am 1. Juni 2013 – nun aber für alle EU-Staaten.

 

*aus: Piñeiro, Esteban (2015): Die Kunst, «ganze Menschen» zu regieren. Über die politische Vermenschlichung ausländischer Arbeitskräfte. In: Geisen, Thomas & Ottersbach, Markus (Hrsg.): Arbeit, Migration und Soziale Arbeit. Wiesbaden: Springer VS, S. 69-92.


Esteban Piñeiro, geb. 1971, Dr. phil. des., ist Soziologe und Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Dort forscht er am Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung mit den Schwerpunkten Öffentliche Verwaltung und kulturelle Diversität, Programmatik der Schweizer Integrationspolitik sowie Jugendunruhen und Soziale Arbeit.




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