Kunst, Kultur und Warenform – Rote Fabrik und Reitschule.

„Kultur hat einen Wert.“
Kunst ist Arbeit.“
Künstler sollen bezahlt werden.“

So lautet der Dreischritt, der immer wieder zu hören ist. Auch jüngst im Zusammenhang mit der Besetzung der Grossen Halle der Reitschule in Bern, welche die Gruppe der „Wohlstandsverwahrlosten“ durchführte. Die Kritik lautet, dass die Kommerzialisierung der (eigenen, widerständischen) Kultur rückgängig gemacht werden sollte, dass ein Ort wie die Reitschule sich auf seine Wurzeln besinnen sollte anstatt sich zu einem Konsumtempel mit linkem (Grafitti)-Anstrich zu entwickeln.

In Zürich lässt sich diese Entwicklung eines ehemals widerständischen und von einer Bewegung getragenen Ortes zu einem Ausgehtipp anhand der Roten Fabrik in Zürich beispielhaft in Erinnerung rufen. Die Rote Fabrik ist heute nur noch ein Angebot neben anderen auf dem Markt. Der Entscheid in die Rote Fabrik zu gehen, ist so revolutionär wie ins Opernhaus zu gehen. Es ist eine Wahl, wo man sein Geld liegen lassen möchte. Eine Wahl, die man vergleichen kann mit der Wahl zwischen billigen sauren Gurken und teuren sauren Gurken, also ähnlich wie die Wahl zwischen einer sozialdemokratischen und einer liberalen Partei.

In diesen Auseinandersetzungen ist immer wieder vom Ausverkauf oder der Kommerzialisierung die Rede, gegen die man sich wehrt. Gleichzeitig verteidigen jene, die jahrelang an den Strukturen mitgebaut haben, die Notwendigkeit von Einnahmen zur Aufrechterhaltung jener Strukturen. Bei solchen Prozessen gerät man immer auch in einen Gewissenskonflikt. Denn schliesslich reiben sich konservative Kreise angesichts solcher Konflikte genüsslich die Hände. Und auf der anderen Seite rufen die sich selbst besonnen nennenden wie damals das ZK der KPdSU zur Einheitsfront auf (oder waren es die Sozialdemokraten?). Jeder Streit untereinander schwäche das eigene Projekt und spiele dem Gegner in die Hand, und wer das nicht einsehe, verstünde nichts von der Ernsthaftigkeit der Lage und betreibe anarchistisches Brigantentum. (Oder wie es bei Monty Python so schön heisst: „Spalter!“)

Hybris der Kunst
Wenn Kunst kostenlos sei, habe sie keinen Wert, sagen jene, die sich angegriffen fühlen durch die Kritik, dass die Kommerzialisierung der Bewegung ein falscher Weg sei. Und ja, man muss sagen: Man versteht solche Künstler. Denn schliesslich hängt ihr Leben davon ab, dass tröpfchenweise Geld reinfliesst. Wie würde man sonst auch Miete zahlen? Verständlich also die Haltung jener, die von der Kunst leben, dass die Kunst bezahlt wird. Aber deswegen ist sie nicht richtiger.

Da ist nämlich auch immer die Angst des Künstlers, man könnte seinen Zauber durchschauen. Die Angst vor den vielen, die Angst vor dem Publikum. Denn die grösste Angst ist nicht jene, dass man vom eigenen Publikum zerfleischt würde, sondern dass das eigene Publikum die Lust verlöre, sich irgendwem zugehörig zu fühlen und es lieber gleich selbst unternimmt. (Darin gleicht der Künstler dem Kapitalisten, beide fürchten sich vor der Übernahme der Vielen, die ihnen gegenüber stehen.)

Aber die Kritik an der Kunst und der Kultur, die in Warenform daherkommt, erschliesst sich für jene, die von dieser Warenform leben, nicht automatisch. Sie sehen darin zuerst einen Angriff auf ihren Lebensstil, der auf dem Kreislauf von Arbeit, Lohn und eigener Reproduktion beruht. Ein Verdacht, der sich aufdrängt, wiegt am Schwersten im Gedärm: dass ein Künstler nichts weiter ist als ein Bauarbeiter mit einem Pinsel, eine Putzfrau mit einer Schreibmaschine oder ein Bankangestellter mit einem Instrument. Und man gerät ins Grübeln, wenn man im eigenen ästhetischen Verwirklichungsprojekt die selben Mechanismen entdeckt wie in einem Versicherungsvertreter oder einer Person, die im Callcenter arbeitet: Man versucht anderen Leuten Sachen aufzuschwatzen, die sie eigentlich nicht brauchen.

Das ist aber nichts weiter als das ewige Dilemma kapitalistischer Produktion, dass sie Spezialisten ausbildet für Professionen, die Produkte herstellen, die auf dem Markt bestehen sollen – und dass ein Überleben in einem solchen System eben nur möglich ist, wenn man sich diesem Sachverhalt anpasst. Das ist eben der Unterschied zwischen Kreativität und Kunst, zum Beispiel zwischen einem Kind, das spielt, musiziert, schreibt, malt und einem Schauspieler, Musiker, Schreiber oder Maler. Das Kind vollführt diese Dinge ohne den Zwang eines Marktes, sondern macht sie, weil sie lustig sind, spannend, weil es reizvoll und phantastisch ist. Wenn Erwachsene das machen, nennt man sie Dilettanten – und wenn Erwachsene diesen nicht-professionellen Ansatz verteidigen, nennt man sie Dilettantisten.

Um diesen Mechanismus zu durchbrechen oder zumindest sichtbar zu machen, braucht es einen Angriff auf die Kunst an sich. Denn Kunst ist überhaupt nur vorstellbar im Rahmen kapitalistischer Produktion. Die Idee des Künstlers bedingt eben jene Professionalisierung, die sich an ihr zeigt. Nicht der Künstler hat sich spezialisiert, sondern die Spezialisierung hat den Künstler erschaffen. Die ihr zugrunde liegende Aktivität ist die Kreativität. Oder anders gesagt: Kunst ist die Weise, wie Kreativität in kapitalistischen Verhältnissen gesellschaftlich organisiert wird. Das ist ein historischer Prozess – und kein ewiges Gesetz, wie gerne behauptet wird. Die Kunst, wie sie sich heute präsentiert, ist nicht „ewig und unsterblich“. Allenfalls ist die Kreativität als etwas „Ewiges“ zu bezeichnen.

Es geht also darum, die Kunst den gesellschaftlich definierten Spezialisten abzunehmen. „Die Kunst dem Volke“, wie es früher hiess. Das heisst die Aufhebung der Trennung zwischen Akteuren und Zuschauern, diese Trennung in Bezahlt und Bezahlend, in aktiv und passiv. Eine so verstandene Kreativität muss und soll allen offen stehen.

Wer die Warenform der Kunst hingegen aufrechterhält, wer die in ihr enthaltene Arbeit reklamiert und ihren Gegenwert als Verdienst einfordert, der argumentiert aus einem Privileg der Trennung heraus, vor allem wenn er dies gegenüber jenen macht, die sich aufmachen, solche Trennungen aufzuheben aus dem Bedürfnis nach einer Welt, die nicht aus Preisschildern besteht. Machen Künstler dies gegenüber ihren Auftraggebern, ihren Vertragspartnern, machen sie dies zurecht: Ist es meine Arbeit, die ich verkaufen muss, so werde ich mich dabei nicht unter Wert verkaufen. Diese Haltung ist so legitim wie die einer Gewerkschaft, die sich gegen Verschärfungen wehrt, gegen Lohnausfall oder Arbeitszeitverlängerung. Wer dies aber gegenüber jenen macht, welche die Kreativität für alle einfordern, welche sich Räume nehmen, um solches zu erreichen, beharrt auf der Einhaltung des Privilegs, das die Trennung in Spezialisten mit sich bringt. Die Trennung eben in Zuschauer und Akteure, oder schärfer formuliert: in Arbeit und Kapital.

Eine Kultur, die mit einem Preisschild versehen ist, ist per se nicht revolutionär oder alternativ, egal wie sehr sie es sich wünscht.


Gruppe Konverter, ein autonomes Laienkünstlerkollektiv, das sich 2007/08 in Zürich gebildet hat. Neben eigenen Veröffentlichungen, Lesungen, Ausstellungen und Performances organisiert die Gruppe auch ästhetische Werkstätten und politische Diskussionen zu Gesellschaft und Ästhetik (Diskussionszyklus «Kunst/Revolution»). konverter.wordpress.com.




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