Der vorliegende Beitrag[1] geht davon aus, dass die in diesem Kompendium verhandelte Transformation der europäischen Wohlfahrtsregime und in der Folge die Neubestimmung der Funktion Sozialer Arbeit nur zu verstehen sind vor dem Hintergrund einer weltweit vor sich gehenden Restrukturierung der individuellen und sozialen Reproduktion, in deren Kontext diese Transformation zu verorten ist.
Bereits in den 1970er Jahren hatte die damalige internationale Hausarbeitsdebatte die unbezahlten Hausarbeit in ihrer Bedeutung für die „Reproduktion der Ware Arbeitskraft“ und damit für die Kapitalakkumulation thematisiert.[2] Gegenüber dieser Debatte, die auf den Umstand der Unbezahltheit der Reproduktionsarbeit fokussierte, trifft die heutige Restrukturierung jedoch auch die bezahlte Care-Arbeit resp. ist diese Restrukturierung selbst zum massgeblichen Promotor der Umwandlung vormals in Haushalten unentgeltlich entrichteter Arbeit in die Lohnförmigkeit geworden. Für eine Analyse der Gegenwart ist es deshalb unabdingbar, diese Transformation und damit das neu entstandene Wechselverhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Reproduktionsarbeit in den Blick zu bekommen.
Dazu möchte der Beitrag in Erweiterung der ursprünglich marxistischen Tradition der älteren Hausarbeitsdebatte auf Überlegungen der feministischen Ökonomie zurückgreifen, die sich seit den 1990er Jahren zu formieren begann.[3] Es ist die eigentliche Innovation der feministischen Ökonomie, mit ihrem Begriff der Care-Ökonomie genau dieses Wechselverhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit zu fassen[4] und damit die Möglichkeit bereitzustellen, diesen Sektor sowohl von den ökonomischen Dynamiken wie von den Grössenordnungen her mit dem übrigen Teil der Wirtschaft in Beziehung zu setzen (Madörin 2006: 286-293). Die feministische Ökonomie kann damit teilweise erklären, warum die auch von der Frauenbewegung als Weg der Emanzipation angestrebte Überführung der vormals von Frauen gratis verrichteten Hausarbeit in die Lohnförmigkeit nicht in jedem Fall greift, das heisst, nicht in jedem Fall zu einer tatsächlichen Besserstellung von Frauen führt. Gegenüber der älteren Hausarbeitsdebatte, die auf eine Zeit reagierte, in der die bezahlte Care-Arbeit noch nicht diesen Umfang und damit dieselbe volkswirtschaftliche Bedeutung hatte wie heute, geht die feministische Ökonomie davon aus, dass gerade mit der Lohnförmigkeit der Care-Arbeit unter bestimmten Bedingungen neue Probleme entstehen und damit das Dienen, um es in den Worten von Geneviève Fraisse zu sagen, „ein Rätsel für die Emanzipation der Frauen“ bleibt (2009: 14). Was wir heute in weitentwickelten (advanced) westlich-kapitalistischen Gesellschaften nämlich feststellen müssen, ist, dass anstelle der Emanzipation ein stark prekarisierter Niedriglohnsektor im Care-Bereich entstanden ist, in dem wiederum mehrheitlich Frauen arbeiten,[5] während sie gleichzeitig die Hauptverantwortlichen für die nach wie vor in grossem Umfang vorhandene unbezahlte Care-Arbeit geblieben sind.[6]
Die Transformation des Wohlfahrtsstaates und folglich die Rolle, die die Soziale Arbeit in dieser Transformation spielt, sind in ihrer Intention nur dann richtig einzuordnen, wenn erkannt wird, dass neoliberale Restrukturierungen auch auf diese anteilmässig zunehmend grössere Bedeutung, die die Reproduktionsarbeit in westlich-kapitalistischen Gesellschaften hat, reagieren. Diese Programme sind jedoch in ihren tatsächlichen Effekten nur schwer zu durchschauen. Was heute in durchaus emanzipativer Absicht als Adult-Worker-Modell mit seiner Norm der individuellen Existenzsicherung erscheint, ist streng genommen nichts anderes als eine fundamentale Neuanordnung der Weise, wie Menschen in westlich-kapitalistischen Gesellschaften gezwungen sind, sich zu reproduzieren.[7] Gegenüber dem fordistischen System basiert diese Restrukturierung letztlich auf einem massiven Ressourcenabzug aus den Haushalten: Ressourcen, die vormals für die Reproduktion zur Verfügung gestanden haben, indem zumindest eine Person, die Ehefrau, für die Reproduktionsarbeit zeitlich freigestellt wurde, sind heute nicht mehr vorhanden, ohne dass sie durch etwas ökonomisch Gleichwertiges ersetzt worden wären. Selbstverständlich stellt sich dieser Ressourcenabzug nicht als solcher, sondern als emanzipatives Projekt, beispielsweise gegenüber einem als bürokratisch und bevormundend wahrgenommenen fordistischen Sozialstaatsmodell, dar. In diesem Sinn ist mit Silvia Federici davon auszugehen, dass das Spezifische dieser neoliberalen Restrukturierung im Bereich der Reproduktion darin besteht, dass sie weitgehend stillschweigend vor sich geht und damit auch für die Akteure selbst ungreifbar bleibt – ein Strukturanpassungsprogramm gewissermassen, für das es aber keine offiziellen Papiere gibt. Der Beitrag schlägt deshalb in Anlehnung an Federici vor, die gegenwärtigen Restrukturierungen, die sowohl die bezahlte wie die unbezahlte Care-Arbeit tangieren, als eine neue Form von „Landnahme“ resp. „primitiver Akkumulation“ zu verstehen, insofern diese Restrukturierungen im Wesentlichen auf die Ressourcen der individuellen und sozialen Reproduktion zielen (Federici 2010: 8). So betrachtet aber ist die Transformation des Wohlfahrtsstaates, von der die Soziale Arbeit nicht nur betroffen ist, sondern die sie als aktive Promotorin auch selber mitgestaltet,[8] Teil der materiellen und ideologischen Vermittlung dieser Landnahme – einer Landnahme, die, da sie sich vorwiegend als Emanzipationsangebot für Frauen und damit als Modernisierungsprojekt darstellt, als solche kaum greifbar wird. Vor dieser Schwierigkeit steht deshalb jede Analyse der hier angesprochenen postwohlfahrtsstaatlichen Transformation: Es ist schwer zu fassen, womit wir es eigentlich zu tun haben.
Dem bisher Gesagten folgend ist dieser Beitrag demnach drei Theorierichtungen verpflichtet:
- einem durch die Bielefelder Soziologinnen und ihren Nachfahren erweiterten Marxismus, der die Reproduktion zum zentralen Thema kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse gemacht hat und damit bereits in den 1970er Jahren in Anschluss an Rosa Luxemburg davon ausging, dass die Mehrwertgewinnung nicht die einzige Form kapitalistischer Ausbeutung ist. Damit knüpft dieser Beitrag auch an eine neuere marxistische Tradition an, die unter dem Stichwort einer „Neuen Landnahme“ davon ausgeht, dass auch Akkumulationsregime in weitentwickelten kapitalistischen Gesellschaften auf Formen der Akkumulation durch Enteignung angewiesen bleiben und dass folglich „Landnahmen“, wenn auch in historisch neuen Formen, als wichtiger Teil des Akkumulationsregimes postfordistischer Gesellschaften zu betrachten sind;[9]
- der feministischen Ökonomie, deren eigentliche Errungenschaft es ist, mit dem Begriff Care-Ökonomie sowohl die bezahlte wie die unbezahlte Care-Arbeit in ihrem Wechselverhältnis zu analysieren und diese mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in ein Verhältnis zu setzen (Madörin 2014: 180f; 2013: 89f);
- der Regulationstheorie der Pariser Schule mit ihrem Begriff von historisch je unterschiedlich funktionierenden Akkumulationsregimen, insofern diese Sichtweise ergänzt wird durch die feministische Einsicht, dass die verschiedenen Akkumulationsregime mit historisch je unterschiedlichen „Reproduktionsweisen“ einhergehen (Chorus 2011: 394f; 2013: 89f).
Mit der so gewendeten Regulationsschule geht dieser Beitrag deshalb davon aus, dass die Krise des Fordismus und die sich daran anschliessenden Restrukturierungen, die heute allgemein als Neoliberalismus bezeichnet werden, in erster Linie eine tiefgreifende Restrukturierung der Weise, wie Menschen sich reproduzieren (müssen), beinhaltet. Damit formuliert der Beitrag die These, dass der eigentliche Grund für den im Kontext Sozialer Arbeit zentral thematisierten Umbau des Wohlfahrtsstaates in veränderten Erfordernissen postfordistischer Produktion zu suchen ist, mit der privatwirtschaftliche Interessen die Wirtschaftskrise des Fordismus überwanden.
Gegenüber einem in den Sozialwissenschaften seit geraumer Zeit vorherrschenden Trend hin zu Mikroanalysen und Akteurszentriertheit rückt dieser Beitrag somit makroökonomische Zusammenhänge wieder in den Vordergrund der theoretischen Reflexion, die er aber gleichzeitig feministisch wendet. In einem ersten Teil sollen dazu zuerst die ökonomischen Gründe für die Fordismuskrise und die aus privatwirtschaftlicher Sicht notwendig gewordenen Transformationsprozesse genannt werden, der zweite Teil arbeitet die These einer Landnahme der individuellen und sozialen Reproduktion als Reaktion auf diese Krise heraus, während der dritte Teil argumentiert, dass die Warenförmigkeit von Care die sowohl materielle wie ideologische Vermittlung dieser Landnahme darstellt. Insbesondere dieser letzte Teil versteht sich damit zugleich als Anregung einer längst fällig gewordenen, bisher aber nicht existierenden Auseinandersetzung der Arbeitssoziologie mit diesem Feld der Care-Arbeit. Hierbei soll gefragt werden, welche neuartigen Ausbeutungsverhältnisse und insb. auch Formen der Entfremdung durch marktvermittelte Steuerungsmechanismen im Care-Bereich entstehen, wie sie bspw. im Rahmen von New Public Management in Form von Quasi-Märkten und künstlichen Wettbewerben eingesetzt werden. Im Namen von „Modernisierung“ und „Professionalisierung“ werden hierbei nicht nur unglaubliche Arbeitsverdichtungen durchgesetzt, sondern mittels neuartiger Formen der Kontrolle wie Evaluationsverfahren, Controlling und Monitoring Fernsteuerungen eingerichtet, die unter dem Deckmantel von Transparenz oder gar Demokratie Zwangsmassnahmen nicht mehr als solche erscheinen lassen.
1. Historisch neue Situation für das Kapital: der expandierende wertschöpfungsschwache Sektor im 21 Jahrhundert
Wenn wir davon ausgehen, dass die postwohlfahrtsstaatliche Transformation des Sozialen der Effekt neoliberaler Restrukturierungen ist, mit denen seit Mitte der 1970er Jahre auf die Krise des Fordismus reagiert wurde, so ist zunächst zu klären, worin genau diese Krise bestand. Dazu möchte ich auf Überlegungen der Regulationsschule zurückgreifen, die Mitte der 1970er Jahre in Paris mit dem Anliegen entstand, jenen historischen Umbruch in der kapitalistischen Akkumulationsweise theoretisch zu erfassen, der heute in Anlehnung an diese Schule meist als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus bezeichnet wird.[10] Die Regulationsschule geht davon aus, dass man nicht ahistorisch von dem Kapitalismus sprechen kann, sondern dass es historisch gesehen verschiedene Formen kapitalistischer Produktionsweisen gibt, die nach den von ihr so genannten Akkumulationsregimen zu unterscheiden sind. Unterschiedliche Akkumulationsregime sind im Wesentlichen die unterschiedlichen Weisen, wie unter je bestimmten historischen Bedingungen privatwirtschaftliche Profite erzielt werden. In diesen Weisen sind folglich unterschiedliche Modalitäten der Profitgenerierung zu unterscheiden. Zu ergänzen ist hier, wie erwähnt, dass damit auch immer je andere Formen der Reproduktion einhergehen und dass wir es hier gegenwärtig vermutlich mit der grössten Transformation zu tun haben.[11]
Um die Bedeutung der Fordismuskrise für diese Transformation zu verstehen, müssen wir uns zunächst nochmals die ökonomischen Gründe für die Fordismuskrise in Erinnerung rufen, die aus der Sicht privater Kapitalverwertungsinteressen die genannten Restrukturierungen notwendig erscheinen liessen. Worauf reagierten diese? Was waren mit andern Worten die ökonomischen Gründe, die aus der Perspektive der Kapitaleigner die fordistische Produktionsweise unter Druck geraten liess?
Historisch gesehen, das heisst, seit der beginnenden Industrialisierung, hat der Kapitalismus seine Profite mit den Mitteln der Produktivitätssteigerung erzielt. Das ist im Wesentlichen auch der Grund dafür, warum die kapitalistische Produktionsweise tatsächlich den Lebensstandard für einen Grossteil der Bevölkerung anheben konnte. Produktivitätssteigerung heisst im Prinzip nichts anderes, als dass mittels technischer Innovationen oder der Rationalisierung von Arbeitsabläufen die Produktion der Stückzahl pro Zeiteinheit erhöht wird. So ist die Prosperitätsphase des Fordismus, also der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg, im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass durch die Arbeitsinnovation des Taylorismus und weiterer technischer Innovationen die Güter des täglichen Bedarfs immer billiger wurden. Die damit einhergehende immense Ausdehnung des Produktionsvolumens stand am Beginn jenes historischen Kompromisses zwischen Kapital und Arbeiterschaft, der den Fordismus prägte: Steigende Profitraten ermöglichten den Unternehmen, gute Löhne zu zahlen, was wiederum die Arbeiterschaft dazu befähigte, die Güter, die so produziert wurden, auch tatsächlich zu kaufen und damit die Nachfrage zu sichern (Dörre 2009: 46-54). Man spricht deshalb in diesem Zusammenhang von der „Durchkapitalisierung der Lebenswelt“ (Hirsch/Roth 1986: 50ff), womit man meint, dass immer mehr Güter des täglichen Bedarfs im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise und nicht mehr ausserhalb von ihr – z.B. in Formen subsistenzwirtschaftlicher Produktion – produziert wurden.
Genau diese historische Gleichung ist in der Krise des Fordismus Mitte der 1970er Jahre zusammengebrochen. Ein Hauptgrund dafür waren die seit den 1960er Jahren sich verlangsamenden Produktivitätszuwächse und in der Folge das Sinken der Profitraten, was im Wesentlichen darauf zurückzuführen war, dass die Arbeitsintensivierung mittels einer Taylorisierung an die Grenzen des menschlichen Körpers stiessen (Hirsch/Roth 1986: 78-82). Neoliberale Restrukturierungsprogramme setzten deshalb zunächst hier an, indem von Unternehmerseite her versucht wurde, Produktivitätszuwächse und damit die Profite mit andern Mitteln wieder herzustellen. Zu diesen Mitteln zählten unter anderem ein generelles Absenken des Lohnniveaus, die Brechung der Macht der Gewerkschaften (Boltanski/Chiapello 2003: 310-328) und im Gegenzug dazu das Angebot neuer Formen der Arbeitsorganisation, die weniger auf Hierarchie denn auf Selbstorganisation beruhen (Dörre 2009: 57-68). Neben der Auslagerung der Produktion in Tieflohnländer gab es aber im Zuge des New Managements auch neue Formen der Arbeitsverdichtung (Boltanski/Chiapello 2003: 142-146), indem mit einer auf Unternehmerebene eingesetzten „marktzentrierten“ Steuerung die Risiken des Marktes direkt an die Belegschaft „durchgestellt“ und damit eine Verstetigung des Konkurrenzprinzips erzeugt werden sollte (Dörre 2009: 62f). Namhafte Produktivitätszuwächse, also Innovationen in der eigentlichen Produktion, waren jedoch erst mit dem Durchbruch die IT-Revolution Ende der 1980er Jahre möglich, womit erstmals seit der Stagnation der 1960er Jahre auch wesentlich die Arbeitsproduktivität wieder erhöht werden konnte (Hirsch 1995: 88f.).
Für den hier interessierenden Zusammenhang zentral ist, dass mit diesen Restrukturierungen in erster Linie auch ein Abkommen vom Modell des männlichen Ernährers verbunden war. Das generelle Absenken des Lohnniveaus und damit das Abrücken vom männlichen Ernährerlohn, in welchem (zumindest der Idee nach) ein einziger Lohn eine ganze Familie ernähren sollte, war aus der Sicht privater Kapitalverwertung eine ökonomische Notwendigkeit. Gleichzeitig verband sich diese aber mit einer Forderung der Frauenbewegung, die dieses Modell des männlichen Ernährers als paternalistisch ablehnte und die Reduktion weiblicher Tätigkeiten auf ein Hausfrauendasein kritisierte, was teilweise diese merkwürdige Konvergenz von Wirtschafts- und Gleichstellungsinteressen erklären kann, wie sie insb. in den EU-Richtlinien zur Gleichstellung zum Ausdruck kommen (kritisch dazu Maier 2010: 246-53 und Lamping 2008: 130).
Ein Effekt dieser so gewollten, gleichzeitig aber auch erzwungenen Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen war, dass damit ein Teil der von ihnen vormals gratis verrichteten Arbeit in die Lohnförmigkeit überführt wurde. Dieser Umstand ist deshalb so zentral, weil dies eine ganz neue ökonomische Dynamik ins Spiel bringt: Mit der immensen Ausweitung bezahlter Care-Arbeit und damit der Entstehung eines bedeutsamen Care-Sektors wächst heute jener Anteil an der Lohnarbeit laufend, der für das Bestreben der Kapitaleigner, Profite mittels Produktivitätssteigerung zu generieren, wenig interessant ist. Denn genau diese Möglichkeit zur Produktivitätssteigerung ist allen Arbeiten des Care-Sektors nur sehr begrenzt gegeben: Weder wachsen und entwickeln sich Kinder mittels technischer Innovationen schneller oder ist es möglich, ihnen das Alphabet in kürzerer Zeit in den Kopf zu trichtern, noch kann das Zuhören oder gar Verstehen einer Klientin mit der Rationalisierung der Arbeitsabläufe wesentlich effizienter gestaltet werden. Was für die Güter der Güterproduktion und der allgemeinen Dienstleistung stimmt, gilt, wie die feministische Ökonomin Mascha Madörin immer wieder betont, aufgrund der Eigenlogik personenorientierter Dienstleistungen für die Dienstleistungen des Care-Sektors nicht (Madörin 2006: 291-293; 2007: 148-153; 2011: 57-63). Rasante Gewinne werden hier, obwohl auch dies heute versucht wird, wegen der diesen Dienstleistungen anhaftenden Eigenart, als Produkt keine technisch herzustellende Ware, sondern ein Element von Intersubjektivität oder Beziehung anzubieten, nie zu erzielen sein (Madörin 2007: 153f).[12]
Rückblickend betrachtet lässt sich deshalb sagen, dass das fordistische Arrangement des Ernährermodells mit der Hausfrau diese sogenannten wertschöpfungsschwachen Arbeiten aus dem Bereich der Produktion und Lohnarbeit fernhalten konnte, wie dies Silke Chorus zu Recht herausstellt (Chorus 2007a: 49/54/57f).[13] Die fordistische Produktionsweise war deshalb eine Prosperitätsphase, weil die Produktion hier zu einem wesentlichen Teil Industrieproduktion war, die lange Zeit dem Segen der Produktivitätssteigerung zugänglich war. So betrachtet hat sich aber das Problem, zu dessen Lösung der neoliberale Umbau beitragen wollte, durch diese ‚Lösung‘ weiter zugespitzt: Durch die Ausweitung jenes Sektors, der nur wenig Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung hat, verschärft sich genau jenes Problem der sinkenden Produktivitätsraten gesamtwirtschaftlich, das am Ursprung der Fordismuskrise stand. Chorus spricht deshalb in diesem Zusammenhang von einem „doppelten Produktivitätsdilemma“ (2007b: 209ff; 2007a: 64-68).
Hinzuzufügen ist, dass dieser wertschöpfungsschwache Sektor bereits zu Ende der fordistischen Prosperitätsphase markant anwächst, und zwar in Folge der bereits in den 1950er Jahren stark ansteigenden Erwerbstätigkeit von Frauen (Kohlmorgen 2004: 148f). Es ist daher zu fragen, ob nicht auch dieser Umstand zu den gesamtwirtschaftlich sinkenden Produktivitäten und damit der Krise des Fordismus mehr beigetragen hat, als in der Regulationsschule gemeinhin angenommen wird (vgl. zu diesem Punkt Chorus 2007a: 64f).
Jedenfalls sind wir mit dieser Entwicklung heute in einer für die kapitalistische Produktionsweise historisch völlig neuen Situation: Der Anteil jener Arbeiten, mittels derer die private Kapitalverwertung gute Profite erzielen kann, schrumpft im Verhältnis zu jenem Teil, in dem dies nicht wirklich funktioniert, laufend. Linda McDowell und Mascha Madörin berechnen für England und die Schweiz, dass dieser Anteil heute ca. 30 % des Bruttoinlandproduktes ausmacht (Madörin 2007: 146f, McDowell 2009: 37). Verschärft wird diese Tendenz dadurch, dass der Care-Sektor gegenwärtig in weitentwickelten westlichen Gesellschaften neben den Finanz- und allgemeinen Dienstleistungen der Sektor ist, der das grösste Wirtschaftswachstum aufweist, wenn er infolge der Finanzkrise nicht überhaupt der einzige noch verbleibende Wachstumssektor ist.[14] Die von Unternehmensseite her oftmals erzwungenen staatlichen Programme zur Restrukturierung des Care-Sektors, wie sie als neoliberale Restrukturierungen in allen europäischen Wohlfahrtsstaaten in Erscheinung treten, müssen deshalb wesentlich auch als Antworten auf dieses Dilemma verstanden werden. So betrachtet ist es nicht zufällig, dass neoliberale Programme heute vorrangig in diesem Bereich, das heisst, im wertschöpfungsschwachen Bereich der personenorientierten Dienstleistungen intervenieren: Der Care-Sektor ist deshalb zu einem ökonomisch hochbrisanten battleground geworden, weil er es ist, der am zentralsten die privatwirtschaftlichen Profitinteressen tangiert.[15]
Jedenfalls kann hier und damit genau in jenem Bereich, wo heute mehrheitlich Frauen erwerbstätig sind, die goldene Regel des historischen Klassenkompromisses: die Gleichzeitigkeit von steigenden Profiten und guten Löhnen – nicht länger greifen. Woran es uns heute fehlt, sind nicht Handys und Kühlschränke, die mit den Mitteln der Produktivitätssteigerung billiger hergestellt werden können. Woran es uns fehlt, ist die Zeit und das Geld, um in umfassendem Sinn für die Pflege und das Umsorgen bedürftiger Angehöriger, die aus irgend einem Grund nicht für sich selber sorgen können, aufzukommen, aber auch für die Betreuung von Kindern, die selbst durch eine im Idealfall schulische Ganztagesstruktur keinesfalls abgedeckt ist. An Zeit fehlt es, weil zunehmend alle erwachsenen Erwerbsfähigen, inklusive der Grosseltern, die früher solche Funktionen noch übernehmen konnten, in eine Erwerbsarbeit eingebunden sind, die von ihnen nicht nur verlangt, dem Arbeitsplatz vollumfänglich zur Verfügung zu stehen, sondern oftmals mit Flexiblitätsanforderungen einhergeht, die mit Reproduktionsverpflichtungen kaum zu vereinbaren sind. Es fehlt aber auch das Geld, sich diese, relativ gesehen, teuren Dienste am Markt zu kaufen,[16] wenn wir nicht länger über die Zeit verfügen, dies selber zu tun. Der Mangel liegt heute also, anders als in der Zeit des Fordismus, nicht mehr im Bereich der Güter des täglichen Bedarfs, sondern im Bereich jener Dienstleistungen, die mit den Mitteln der Produktivitätssteigerung nur sehr bedingt profitabler oder billiger gemacht werden können. Dies führt zu ganz neuen Verteilungskämpfen und wie Silvia Federici zu Recht feststellt, auch zu neuen Klassenverhältnissen (2010: 2; 2012: 22). Dazu ist zu bedenken, dass Frauen – wie Madörin für die Schweiz berechnet –,[17] die bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammengerechnet ca. vier Fünftel ihrer Lebensarbeitszeit im Care-Sektor zubringen. Was in diesem Sektor geschieht, ist also für ihre Stellung in der Gesellschaft absolut zentral. Und dies wiederum ist letztlich davon abhängig, mit welchem wohlfahrtsstaatlichen Kompromiss auf dieses „doppelte Produktivitätsdilemma“ reagiert oder eben nicht reagiert werden kann.
Die hier beschriebene ökonomische Dynamik ist, wie der liberale Ökonom William Baumol bereits in den 1960er Jahren festgestellt hat, ein Phänomen, das in allen weitentwickelten kapitalistischen Gesellschaften zwangsläufig auftritt (Baumol 2012: xvii-xix). Diese von Baumol so genannten „divergierenden Produktivitäten“ (ebd.: 21, vgl. Madörin 2011: 57) zwischen wertschöpfungsstarken und wertschöpfungsschwachen Sektoren wären an sich noch kein Problem. Sie werden es jedoch im Rahmen privater Kapitalverwertungsinteressen. Wie sich dieses Problem bemerkbar macht und welche Konsequenzen es für die einzelnen Individuen, für Männer und Frauen und das Geschlechterverhältnis hat, ist deshalb im Wesentlichen durch die politischen Lösungen bestimmt, die für dieses Problem gefunden werden. Bekanntlich sind diese Lösungen gegenwärtig wirtschaftsfreundlich. Offensichtlich gelingt es der Privatwirtschaft, die Kosten des „doppelten Produktivitätsdilemmas“ nicht selbst zu tragen. Ihre Antwort auf dieses Dilemma liegt vielmehr im Versuch, mittels der Durchsetzung eines bestimmten Wohlfahrtsarrangements sich der relativ gesehen immer teurer werdenden Reproduktionskosten weitestgehend zu entledigen. Sie tut dies, indem sie entweder verlangt, dass diese Dienstleistungen der marktwirtschaftlichen Logik unterworfen werden. Wo das nicht geht und der Staat diese wertschöpfungsschwachen Leistungen weiterhin übernimmt, übt sie einen massiven Spardruck auf diesen aus, was letztlich zu demselben Ergebnis führt: In beiden Fällen entsteht ein massiver Druck auf die Löhne der in diesem Sektor Beschäftigten und damit Reproduktionsverhältnisse, die, wie Linda McDowell feststellt, teilweise eher an frühkapitalistische Ausbeutung denn an eine fordistische Sozialpartnerschaft erinnern (McDowell 2009: 37).
Insgesamt lässt sich deshalb sagen, dass wir heute nicht mehr von einem generellen Widerspruch oder Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit ausgehen können, wie das noch zu Marx’ Zeiten der Fall war. Nicht alle Lohnerwerbstätigen geraten heute unter Druck, sondern vorrangig diejenigen, die in irgendeiner Weise in Reproduktionsarbeit, bezahlte wie unbezahlte, involviert, d.h. im Care-Sektor tätig sind. So betrachtet verläuft der neue Widerspruch heute vielmehr zwischen dem wertschöpfungsschwachen und dem wertschöpfungsstarken Sektor resp. zwischen den Personengruppen, die jeweils darin beschäftigt sind.
2. Reaktion auf den Widerspruch: Landnahmen im Bereich der Reproduktion
In der Sichtweise dieses Beitrages muss die von der EU angestrebte Transformation europäischer Sozialstaatsmodelle im Zusammenhang mit und als Reaktion auf die beschriebene Ausweitung des wertschöpfungsschwachen Care-Sektors gesehen werden, die von der neoliberalen Doktrin selbst massgeblich mitangestossen wurde. Aufgrund des bisher Gesagten muss deshalb festgehalten werden, dass die Reformen europäischer Wohlfahrtsstaatsregime insb. in ihrer Fokussierung auf das Adult-Worker-Modell und die damit einhergehende Norm der individuellen Existenzsicherung letztlich der Senkung des Anteils der Reproduktionskosten an den Lohnkosten dient und damit als Externalisierung von Reproduktionskosten an die privaten Haushalte gewertet werden kann. Während es historisch gesehen dem Kapital möglich war, die Reproduktionskosten dadurch zu senken, dass mittels technischer Innovationen die Güter des täglichen Bedarfs immer billiger produziert werden konnten, ist dies heute nicht mehr möglich, weil ein zunehmend grösserer Teil der Reproduktionskosten aus diesen wertschöpfungsschwachen personenbezogenen Dienstleistungen besteht, die tendenziell nicht billiger, sondern teurer werden.[18] Wenn deren Kosten steigen, müsste sich dies theoretisch in steigenden Lohnkosten niederschlagen, was bekanntlich nicht der Fall ist.
Zum einen handelt es sich hier also um eine Auslagerung eines Teils der Reproduktionskosten aus den Lohnbestandteilen. Zum andern werden aber auch Staaten unter Druck gesetzt, sich aus ihren Investitionen in die soziale und individuelle Reproduktion zurückzuziehen, z.B. im Zuge der von Finanzkrisen verursachten Staatsverschuldungen und den sich daran anschliessenden Strukturanpassungsmassnahmen.[19] Im ersten Fall steht den Haushalten weniger Geld zur Deckung ihrer real benötigten und in der Tendenz steigenden Reproduktionskosten zur Verfügung. Im zweiten Fall werden erneut Aufgaben in die privaten Haushalte und damit in die unbezahlte, meist von Frauen verrichtete Arbeit rückverlagert, die in der kurzen Prosperitätsphase des Fordismus zeitweilig vom Staat abgedeckt wurden. Beides zusammen genommen ist eine Form von Enteignung, die primär auf die Ressourcen der Reproduktion zielt.
Solche Formen von Enteignungen, die nicht der von Marx hauptsächlich fokussierten Mehrwertausbeutung entstammen, die in gewisser Weise in vertraglich korrekter Weise stattfindet und deshalb von der bürgerlichen Ökonomie auch nicht als Ausbeutung eingestuft wurde, werden in der internationalen marxistischen Diskussion heute unter dem Theorem einer „Neuen Landnahme“ diskutiert. Diese Diskussion schliesst an die zentrale These Rosa Luxemburgs an, dass „der Kapitalismus auch in seiner vollen Reife“ auf Formen der Akkumulation zurückgreift, in denen nicht der Vertrag,[20] sondern „ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung“ als Formen der Aneignung vorherrschen (GS 5: 313/397). Rosa Luxemburg widersprach damit Marx’ Annahme, dass „primitive“ Formen von Akkumulation (GS 5: 313/318), die von ihm so bezeichnete „ursprüngliche Akkumulation“ (MEW 23: 741), nur am Beginn der kapitalistischen Produktionsweise zu finden seien, Gewalt somit nur bei der Genesis, gewissermassen als „Geburtshelfer“ des Kapitalismus als Mittel der Akkumulation zu finden sei (MEW 23: 779). Angesichts des Ersten Weltkrieges kam Rosa Luxemburg demgegenüber zum Schluss, dass die Kolonien mit den darin vorherrschenden gewaltsamen Formen von Ausbeutung in ihrer ökonomischen Funktion für die kapitalistische Produktionsweise verstanden werden mussten, die so betrachtet als eine Form fortwährender ursprünglicher Akkumulation aufzufassen sind.[21]
Aufgrund dieser Überlegungen formulierte Rosa Luxemburg ihre These, „dass der Kapitalismus auch in seiner vollen Reife in jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist“ (ebd.: 313). Und sie präzisierte in entscheidender Erweiterung der marxschen Akkumulationstheorie: „Die Akkumulation ist nicht bloss ein inneres Verhältnis zwischen den Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft, sondern vor allem ein Verhältnis zwischen Kapital und dem nichtkapitalistischen Milieu …“ (ebd.: 364), wozu sie weiter ausführt:
„Wenn der Kapitalismus also von nicht-kapitalistischen Formationen lebt, so lebt er, genauer gesprochen, von dem Ruin dieser Formationen, und wenn er des nichtkapitalistischen Milieus zur Akkumulation unbedingt bedarf, so braucht er es als Nährboden, auf dessen Kosten, durch dessen Aufsaugen die Akkumulation sich vollzieht. Ohne sie kann die Akkumulation des Kapitals nicht vor sich gehen, die Akkumulation besteht aber, von dieser Seite genommen, im Zernagen und im Assimilieren jener. Die Kapitalakkumulation kann demnach sowenig ohne die nichtkapitalistischen Formationen existieren, wie jene neben ihr zu existieren vermögen. Nur im ständigen fortschreitenden Zerbröckeln jener sind die Daseinsbedingungen der Kapitalakkumulation gegeben.“ (GS 5: 363f)
Es ist diese Aussen-Innen-Dialektik und damit der Hinweis auf die zentrale Bedeutung von Verhältnissen, die „ausserhalb der kapitalistischen Produktion und Akkumulation liegen“ (ebd.: 300), von der sich die heutige Diskussion um „Neue Landnahme“ inspirieren liess. David Harvey, der diese Diskussion im Wesentlichen angestossen hat, teilt einerseits mit Rosa Luxemburg die Einsicht, dass das kapitalistische System ein „Ausserhalb“ braucht, um sich zu stabilisieren. Er kritisiert aber die darin implizit enthaltene Zusammenbruch-These, Rosa Luxemburgs Prognose also, dass es dem Kapitalismus nach Vollendung der stetigen Landnahmen früher oder später an einem „Aussen“ und damit an äusseren Absatzmärkten fehlen würde (2005: 137). Die Reduktion von Luxemburgs Thesen auf eine Frage der Erschliessung von Absatzmärkten ist allerdings inkorrekt. Zwar thematisiert Luxemburg „nichtkapitalistische soziale Schichten als Absatzmarkt für (den) Mehrwert“ (GS 5: 316), doch betont sie gleichzeitig, dass der Kapitalismus diese „nichtkapitalistische[n] Produktionsformen“ „als Bezugsquellen seiner Produktionsmittel und als Reservoir der Arbeitskräfte für sein Lohnsystem“ braucht (ebd.: 314/316f), indem sie präzisiert: „Der Akkumulationsprozess des Kapitals ist durch alle seine Wertbeziehungen und Sachbeziehungen (…) an nichtkapitalistische Produktionsformen gebunden.“[22] Sie selbst skizzierte damit bereits die Wechselbeziehung zwischen inneren und äusseren Räumen, die Harveys Theorie zugrunde liegt: „Äusserer Markt für das Kapital ist die nichtkapitalistische soziale Umgebung, die seine Produkte absorbiert und ihm Produktionselemente und Arbeitskräfte liefert.“ (Ebd.: 315)
Was Harvey dem hinzufügt, ist, dass der Kapitalismus in fortgeschrittenem Stadium es versteht, dieses „Aussen“ laufend in seinem Innern neu hervorzubringen. Die Möglichkeit, ein „Aussen“ erneut in Land zu nehmen, ist daher unbeschränkt. Die von Raub geprägten Beziehungen zwischen einem Innen und einem Aussen verortet Harvey folglich nicht mehr nur in geografischen Räumen, sondern vor allem auch innerhalb derselben, zwischen Akteuren und Positionen der kapitalistischen Gesellschaft selber. Das Aussen wird damit nie aufgebraucht, weil es beständig neu ausgeschieden wird. Das stetig neu geschaffene „Aussen“ bildet so in dialektischer Weise einen inneren Bestandteil des Kapitalismus selbst. Harvey prägt für diese Form fortlaufende primäre Akkumulation den Begriff der „Akkumulation durch Enteignung“ (2005: 143).
Als heutige Beispiele solcher Landnahmen, die kein geographisches, sondern ein im Innern kapitalistischer Gesellschaften selbst entstandenes „Aussen“ betreffen, nennt Harvey: Fusionen, Schuldknechtschaft, Plünderung von Rentenfonds, Biopiraterie, Kommodifizierung der Natur und die Privatisierung öffentlicher Güter wie Wasser, Energie, Kommunikations- und Transportwege, Kollektivland und eben nicht zuletzt: sozialer Einrichtungen (ebd.: 145-147). Harvey geht davon aus, dass seit der Krise des Fordismus diese Art der Landnahme die von Marx so bezeichnete „erweiterte Reproduktion“ – also die „normale“ Ausbeutung in der Mehrwertakkumulation[23] – als vorherrschende Form der Akkumulation abgelöst hat (ebd.: 151).
Für Harvey ist diese Form der Landnahme ein Mittel, womit die dem Spätkapitalismus inhärente Überakkumulationskrise entschärft werden kann. Überakkumulationskrisen bedeuten, dass das Kapital keine profitablen Anlagemöglichkeiten mehr findet. Der Überakkumulation kann begegnet werden, indem das anlagesuchende Kapital in öffentliche Infrastrukturgüter investiert und damit absorbiert wird, Güter, die später wieder in Land genommen werden können. Oder es kann ihr mit gezielten Entwertungen begegnet werden, die meist im Zuge von Finanzkrisen entstehen: Um eine ausgehungerte Staatskasse zu füllen, wird etwa eine Eisenbahn billig an private Investoren verkauft, die mit beschränktem Leistungsauftrag und ohne sozialverträgliche Preispolitik grössere Gewinne erwirtschaften können als zuvor der Staat. Wenn Vermögenswerte weit unter ihrem Wert freigesetzt werden, kann das überakkumulierte Kapital damit wieder Profit erwirtschaften.
Während solche Entwertungen, z.B. in Zuge von Finanzkrisen, oftmals spektakuläre Formen annehmen und als solche – bspw. in der Diskussion um Commons – auch im öffentlichen Bewusstsein sind, haben wir es mit der Landnahme im Bereich der Reproduktion mit etwas zu tun, das stillschweigend vor sich geht und damit weitgehend ungreifbar bleibt. Ungreifbar ist dieser Modus von Landnahme vor allem deshalb, weil er in spezifischer Weise in Lohnerwerbsarbeit integriert ist. Während Marx noch davon ausgehen konnte, dass es im Bereich der Lohnarbeit zwar eine Ausbeutung gibt (eben die, die den Mehrwert schafft), die bezahlten Löhne jedoch gleichwohl so hoch sein müssen, dass sie zumindest den Wert der Ware Arbeitskraft, d.h. die elementaren Kosten ihrer Reproduktion abdecken, ist genau dies heute im Bereich der bezahlten Care-Arbeit nicht mehr der Fall. Da der Care-Sektor als wertschöpfungsschwacher Sektor im Rahmen kapitalistischer Produktionsweise zwangsläufig ein Niedriglohnsektor bleibt, in dem es kaum möglich ist, ein existenzsicherndes Einkommen zu generieren, bleiben die darin Tätigen, meist Frauen, für ihre eigene Reproduktion in grossem Umfang auf unbezahlte Arbeit angewiesen. Was so entstanden ist, ist ein komplexes Ineinandergreifen von bezahlter prekarisierter Care-Arbeit und unbezahlter Care-Arbeit: Personen, meist Frauen, die unter ihrem Reproduktionsniveau im Care-Sektor arbeiten, müssen sich selbst und ihre Kinder – da sie oftmals selbst Haushaltsvorständinnen sind – durch unbezahlte Reproduktionsarbeit erhalten, die wiederum meist von Frauen erbracht diese demselben Mechanismus aussetzt: Da sie dem Arbeitsmarkt nur teilweise zur Verfügung stehen, sind sie dafür prädestiniert, im prekarisierten Care-Sektor zu arbeiten, in dem sie wiederum kein existenzsicherndes Einkommen erwerben werden, was sie auf die unbezahlte Arbeit anderer Frauen verweist – ein Kreislauf der sich unendlich fortsetzt. D.h. die Überführung vormals von Frauen unentgeltlich verrichteter Arbeit in die Lohnförmigkeit führt unter kapitalistischen Verhältnissen paradoxerweise dazu, dass auch die Anforderungen an die unbezahlte Arbeit wächst, für die aber im Zuge des Adult-Worker-Modells niemand mehr zur Verfügung steht.[24]
Die Reproduktionssphäre wird gegenwärtig also in doppelter Weise, sowohl in der bezahlten wie in der unbezahlten Care-Arbeit, in Land genommen resp. Formen der Enteignung ausgesetzt, wobei beide Formen in einem komplexen Wechselverhältnis miteinander interferieren. Die „Akkumulation durch Enteignung“ im Bereich der Reproduktion hat damit eine spezifische Form, die der in der Diskussion um Neue Landnahme vorherrschenden Annahme widerspricht, dass es sich bei der „fortwährenden ursprünglichen Akkumulation“ um Enteignungsformen ausserhalb der Lohnarbeit handle.[25]
Genau in diesem Punkt aber erweist sich Rosa Luxemburgs Analyse, dass die kapitalistische Produktionsweise „in jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist“ (GS 5: 314), als äusserst fruchtbar. In ihrer Formulierung, „dass die kapitalistische Akkumulation zu ihrer Bewegung nichtkapitalistischer sozialer Formationen als ihrer Umgebung bedarf, in ständigem Stoffwechsel mit ihnen vorwärts schreitet und nur so lange existieren kann, als sie dieses Milieu vorfindet“ (313f), macht sie deutlich, dass sie sich dieses Verhältnis als Artikulation unterschiedlicher Produktionsweisen denkt. In ihrem Beharren darauf, dass sich die kapitalistische Produktionsweise sowohl „nichtkapitalistisch produzierte Produktionsmittel“ (306) aneignet, wie diese nichtkapitalistischen Schichten als „Reservoir der Arbeitskräfte“ (317) nutzt, macht sie nicht nur deutlich, dass diese Artikulation eine eigene Form von Landnahme darstellt. Sie gibt darüber hinaus wichtige Hinweise darauf, wie diese Artikulation theoretisch überhaupt zu konzipieren wäre, nämlich als eine Form von Subsumtion, in welcher die Subsistenzproduktion der einen Produktionsweise unter die kapitalistische Produktionsweise subsumiert wird. Obwohl Rosa Luxemburg den Begriff der Subsistenzproduktion nicht verwendet, hat sie von ihrer Wortwahl her bei den von ihr so bezeichneten „nichtkapitalistischen Produktionsformen“ deren Ressourcen der Subsistenz vor Augen. In diesem Sinn könnte man deshalb von einer Subsumtion der Subsistenzproduktion „nichtkapitalistische(r) Milieu(s)“ (314) unter die kapitalistische Produktionsweise sprechen.
Es ist diese Form einer Subsumtion, die auf Subsistenzressourcen einer andern Produktionsweise – der von Rosa Luxemburg so bezeichneten „nichtkapitalistische(n) soziale(n) Umgebung“ (315) – zielt, die die Bielefelder Soziologinnen Maria Mies, Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen Ende der 1970er Jahre dazu inspiriert hatte, in Anlehnung an Rosa Luxemburg die Hausarbeit in westlich-kapitalistischen Gesellschaften als eine solche Subsistenzproduktion zu verstehen. Sie haben damit lange vor Harveys Überlegung, dass es sich bei den „Kolonien“ nicht zwangsläufig um ein geographisches Aussen handeln muss, die häusliche Produktion als ein solches „Äusseres“ der kapitalistischen Produktionsweise konzipiert, das sich nicht nur in dessen Innerem befindet, sondern von diesem selbst laufend neu hervorgebracht wird: Die häusliche Produktion ist keine geographisch äussere Kolonie, sondern, wie Maria Mies in der Präzisierung der „Aussen-Innen-Dialektik“ formuliert, eine „innere Kolonie“, die entsprechend in Land genommen werden kann (1988: 138; 1983: 117). Damit formulierten die Bielefelder Soziologinnen bereits zu Beginn der 1980er Jahre die die heutige Diskussion leitende Vorstellung,[26] dass der Kapitalismus in seinem Innern nicht-kapitalistische Inseln, die er später an Land nehmen kann, laufend selber hervorbringt, nämlich in Form einer gerade in Folge der kapitalistischen Produktionsweise sich laufend erweiternden Subsistenzproduktion.
Rückblickend fasst Mies das, was sie und ihre Kolleginnen damals theoretisch zu fassen suchten, in das Bild einer „Unterwasser-Ökonomie“, in der die Lohnarbeit und damit die normale Form der Ausbeutung nur die „Spitze des Eisbergs“ ist, der auf einem unsichtbaren Sockel unbezahlter Subsistenzarbeit fusst, der ganz anderen Formen von Enteignung ausgesetzt ist (Mies 2009: 275). Damit sagen die Bielefelder Soziologinnen nicht nur, dass es eine Ausbeutung gibt, die von ihrem Umfang her die Lohnarbeit bei weitem übersteigt, was die zentrale These der heutigen Diskussion um „Akkumulation durch Enteignung“ ist (Bennholdt-Thomsen 1981: 38; Mies 2009: 264). Sie sahen es als Fehlwahrnehmung der damaligen Linken, davon auszugehen, dass der voranschreitende Kapitalismus schliesslich alle Menschen in Normalarbeitsverhältnisse und damit in die „normale“ Form der Ausbeutung integrieren würde. Dessen Voranschreiten, so ihre damalige These, führt im Gegenteil dazu, dass ein immer grösserer Teil der Bevölkerung sich mehrheitlich ausserhalb von Lohnverhältnissen reproduziert.
Mit dem in diesem Zusammenhang geprägten Begriff einer „Hausfrauisierung der Lohnarbeit“[27] nahmen sie damit in gewisser Weise auch die heutige Diskussion um Prekarisierung vorweg. Mit diesem Begriff verbanden die Bielefelderinnen schon damals eine Tendenz der Globalisierung, die nicht nur Frauen betraf, sondern der generelle Übergang von – eben eigentlich nur für die kurze Zeit des Fordismus geltenden – Normalarbeitsverhältnissen in deregulierte Formen von Lohnarbeit für alle. Von Hausfrauisierung, so ihre damalige Prognose, würden im Zuge der Globalisierung alle Erwerbstätigen betroffen sein (Mies 2009: 268/271f).
Um dieses Phänomen zu bezeichnen, prägte Bennholdt-Thomsen den Begriff der „marginalen Masse“ (1981: 43). „Masse“ meint, dass mittlerweile (in weit entwickelten Kapitalismen wie dem unsrigen) eine Mehrheit der Bevölkerung so funktionieren muss. „Marginal“ meint, dass sie eine „Randexistenz“ führen, die jedoch zur „Normalität“ wird. Für die Frage der Landnahme ist zentral, dass Bennholdt-Thomsen von dieser marginalen Masse nicht primär deshalb spricht, weil sie den Lohn drückt – der „Reservearmee-Mechanismus“, von dem Marx ausging und auf den sich auch Dörre bezieht (2009: 52). Die Bedeutung der „marginalen Masse“ liegt für Bennholdt-Thomsen vielmehr darin, dass diese sich aus der Perspektive des Kapitals kostenlos reproduziert, ihm aber, je nach Bedarf, dennoch wieder zur Verfügung steht. Ihre Reproduktionskosten sind damit in keiner Weise vom Kapital entschädigt, ein Umstand, den Marx kaum vorsah.[28] Bennholdt-Thomsen führt dazu aus: „Da ein Teil der Bevölkerung die notwendige Subsistenzarbeit übernimmt, ohne dem Kapital Kosten zu verursachen, erhöht sich dadurch die Möglichkeit der Aneignung von Mehrarbeit für das Kapital enorm. (…) Die marginale Masse befindet sich nicht ausserhalb oder am Rande, sie bildet vielmehr einen integralen Bestandteil des kapitalistischen Systems.“ Diese „marginale Subsumption“ bedeutet also, „dass nur ein minimaler Teil der für ihre Reproduktion notwendigen Arbeit auf der Kapitalseite als Kosten erscheint“ (Bennholdt-Thomsen 1981: 44).
Mit dieser These, dass dem Kapital die Möglichkeit zur Exterritorialisierung von Kosten eignet, erweiterten die Bielefelder Soziologinnen Luxemburgs These einer fortwährenden ursprünglichen Akkumulation[29] um den Begriff der „Subistenzproduktion“ (Bennholdt-Thomsen 1981; Mies 1983): Sie meinten damit eine Überlebensökonomie, die gerade nicht eine antikapitalistische Insel darstellt, sondern laufend den Kapitalinteressen subsumiert wird. Arbeit im Bereich der Reproduktion ist Produktion, aber eine, die kaum als solche erscheint und daher stillschweigend an Land genommen werden kann, weil die darin geleistete Arbeit – insofern Menschen immer versuchen werden zu überleben – scheinbar „wie Luft und Wasser“ gratis zur Verfügung steht. Mies betont deshalb, dass „Hausfrauisierung gleichbedeutend ist mit Externalisierung oder Exterritorialisierung der Kosten, die sonst von den Kapitalisten gedeckt werden müssten“ (Mies 1988: 138). Für die heutige Diskussion um Prekarisierung wäre es deshalb zentral zu sehen, dass es oftmals nicht primär der Prekarisierte selbst ist, der die Kosten der Prekarisierung trägt, sondern diejenige(n), die seine Reproduktion trotzdem und weiterhin aufrechterhalten, meist in einer prekären Kombination von bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit.
Diese damalige Diskussion thematisierte zwar die Hausfrauisierung der Lohnarbeit. Was sie nicht thematisierte und was in den 1970er Jahren auch noch nicht diese Virulenz hatte wie heute, ist, dass heute der bezahlte Care-Sektor zum privilegierten Ort von hausfrauisierten Arbeitsverhältnissen geworden ist, weil er im Rahmen kapitalistischer Profitabilitätskriterien schlicht nicht anders organisiert werden kann (Federici 2012: 73ff). Bennholdt-Thomsens bisher viel zu wenig beachtetes Konzept der „marginalen Masse“ wäre demnach ein fruchtbarer Ansatz, um die heutige Situation von Frauen im Allgemeinen und von Care-Arbeiterinnen im Besonderen besser zu verstehen.
3. Die Warenförmigkeit von Care als zeitgenössische Form der Landnahme
3.1. Sozialpolitik als Geschlechterpolitik: die ideologische Vermittlung
Es ist dieser Fokus auf das Ineinandergreifen von bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit, die der feministische Standpunkt – der von Federici so bezeichnete „Blickwinkel der Reproduktion“ (2010: 2/9) – als wesentliche Verschiebung in die gegenwärtige Diskussion um neoliberale Restrukturierungen einbringt. Mit der Betonung der Bedeutung einer Interferenz zwischen beiden Formen von Care, die in der feministischen Ökonomie dazu geführt hat, die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit zusammen zu betrachten und als einen eigenen Sektor zu konzipieren[30], geht diese Analyse über die gängige linke Kritik am Neoliberalismus hinaus, die in einer einseitigen Fokussierung auf die Lohnarbeit mit „Privatisierung“ meist lediglich den Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften in der Erwerbsarbeit verbindet. Privatisierung heisst jedoch nicht lediglich Deregulierung von Arbeitsmärkten, Abbau sozialstaatlicher Transferleistungen und Aktivierung. Sie scheint vielmehr auch immer mit einer Strategie des Umbaus der Reproduktionsarbeit einherzugehen, ohne sich deshalb ausschliesslich im einen oder andern Bereich, der bezahlten oder unbezahlten Arbeit abzuspielen, die sie vielmehr in bestimmter Weise miteinander in Verhältnis setzt. Wie die Kanadische Politologin Janine Brodie betont, handelt es sich bei Privatisierung immer um einen doppelten Prozess (1997a: 56/1997b: 235-237), insofern die Überführung in die Warenförmigkeit zwangsläufig mit einer Privatisierung sozialer Kosten einhergeht. „Folglich stellt Privatisierung zwei unterschiedliche, aber sehr oft miteinander verbundene Strategien des Regierens dar – entweder die Unterwerfung unter die Warenform (die Umwandlung öffentlicher Güter in private Güter, die käuflich erworben werden können) oder die Familiarisierung/Individualisierung (die Verschiebung von Verantwortung aus dem Öffentlichen und Kollektiven zur Familie und den Individuen).“ (2004: 23)
Dieser doppelte Aspekt der Privatisierung, der Umstand, dass die Verlagerung vormals öffentlicher Dienste und Güter in den „privaten Sektor“ mit einer Kehrseite: der Externalisierung von Kosten in die „private Sphäre“ einhergeht (Brodie 2004: 23) und damit mit einer Restrukturierung, die letztlich immer auf die Ressourcen der Reproduktion der Haushalte zielt, wirft damit auch nochmals ein anderes Licht auf die veränderte Funktion der darin involvierten Sozialpolitik. Wenn, in Janine Brodies Formulierung, Sozialpolitiken „die Widersprüche zwischen den Anforderungen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion“ verhandeln (2004: 22), so wird vor dem Hintergrund des bisher gesagten verständlich, warum Sozialpolitiken heute oftmals Geschlechterpolitiken sind oder jedenfalls „massgeblich an der geschlechtlichen Codierung sozialer Formationen beteiligt sind“ (2004: 22). Allerdings – und hierfür sind die geschlechterpolitischen Leitlinien der EU ein paradigmatisches Beispiel – sind dies Geschlechterpolitiken, die gerade nicht mehr im traditionellen Sinn mit konservativen Geschlechterleitbildern einhergehen.[31]
So treffen sich heute viele soziologische Zeitdiagnosen in der Aussage, dass wir es gegenwärtig tatsächlich mit einem fundamentalen Wandel in den ideologischen Staatsapparaten zu tun haben. Das heutige Geschlechterregime regiert über ein komplexes Ineinandergreifen einer vor allem auf junge Frauen und ihre Förderung gerichteten Politik und einer De-Thematisierung von Geschlecht, von dem im Zuge einer globalen Antidiskriminierungspolitik abstrahiert werden soll. Wie Angela McRobbie (vgl. 2010: 37-42/88-93/119f) und Janine Brodie feststellen (vgl. 2004: 20), sind Frauen jedoch gleichzeitig die hauptsächlichen Subjekte dieses neoliberalen Umbaus, indem sie, unter dem Label einer anzustrebenden und erstrebenswerten individuellen Existenzsicherung instand gesetzt werden sollen, für sich selbst zu sorgen. Faktisch heisst dies, dass sie aus eigenen Kräften in die Lücke springen sollen, die durch den sich zurückziehenden Staat im Bereich der sozialen und individuellen Reproduktion entstanden ist (vgl. Federici 2010: 12). Meines Erachtens muss deshalb betont werden, dass wir es gerade in der Folge dieser, wie Brigitte Young sagt, „Liberalisierung der Geschlechterordnung“ (2001: 155f.) mit einer De-Thematisierung von Geschlecht zu tun haben, die unter dem Deckmantel der Chancengleichheit, indem sie damit gleichzeitig eine fundamentale Strukturanpassung im Bereich der sozialen Reproduktion verbindet, das angestammte Tätigkeitsfeld von Frauen betrifft, ohne dass dies sichtbar oder als solches thematisiert würde. Betrachtet man nämlich die individuelle Existenzsicherung vor dem Hintergrund der angestellten ökonomischen Überlegungen, so stellt sie schlicht eine Form primitiver Akkumulation dar. Diese Sozialpolitiken erscheinen uns aber deshalb nicht als eine Form der Enteignung, weil der Haushalt und die darin verrichtete Arbeit kaum als Domäne vorgestellt werden, wo es etwas zu enteignen gibt.
Ich meine deshalb, dass die gegenwärtigen neoliberalen Sozialpolitiken, die somit nicht zufällig Geschlechterpolitiken sind, eine Form der Institutionalisierung und damit letztlich ideologischen Vermittlung oder Bemäntelung dieser Landnahme darstellen. Allerdings haben wir es hier nicht mehr mit ideologischen Mechanismen im traditionellen Sinne des Wortes zu tun. Es geschieht nicht nur im Namen der Gleichstellung, sondern es ist tatsächlich Gleichstellung. So ist auch die veränderte Funktion Sozialer Arbeit in diesem Zusammenhang zu sehen: Sie ist als Instrument des workfare Teil einer geschlechtlich codierten Sozialpolitik, die im Rahmen postwohlfahrtsstaatlicher Restrukturierung und deren Orientierung am Adult-Worker-Modell sowohl Frauen zu ihrem hauptsächlichen Gegenstand macht wie gleichzeitig auf ihre Gleichstellung zielt. Insofern in diesem neuen Paradigma im Sinne der individuellen Existenzsicherung Gleichstellung ausschliesslich als Arbeitsmarktintegration verstanden wird, haben wir es hier mit einer spezifisch ‚weiblichen‘ Form von Aktivierung zu tun, in welcher die Klientin instand gesetzt werden soll, ihre reproduktiven Verpflichtungen mit einer Arbeit – vorzugsweise im prekarisierten Care-Sektor, zu dem zunehmend auch ein Teil der direkt klientenbezogenen Sozialen Arbeit gehört[32] – zu verbinden, was dann ihre Emanzipation sein soll. Die geschlechtsspezifischen Implikationen des postwohlfahrtsstaatlichen Regimes verweisen damit auf eine ideologische Formation, die unter dem Deckmantel von Modernisierung und Emanzipation diese Landnahme akzeptabel macht. Allerdings ist die mit der Warenförmigkeit von Care einhergehende Modernisierung kaum von der Hand zu weisen. Das Janusköpfige dieser Modernisierung ist daher in seiner geschlechtsspezifischen Problematik nur schwer zu durchschauen. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass eine gewichtige Strömung innerhalb der Frauenbewegung mit der Professionalisierung haushaltsbezogener Dienstleistungen eine emanzipatorische Hoffnung verband, nämlich Frauen im selben Zug Zugang zu qualifizierter Arbeit zu eröffnen und sie gleichzeitig von der unbezahlten Arbeit im Haushalt zu entlasten. Wenn die damalige Frauenbewegung damit auch nicht die spezifische Form vor Augen hatte, die wir heute als Warenförmigkeit von Care bezeichnen, so war doch die Vorstellung einer rationalen Handhabbarkeit dieser Dienste leitend. In durchaus ambivalenter Weise scheint die Umwandlung einer Tätigkeit: to care in ein klar definiertes Produkt namens Care, das in der Folge als Ware angeboten werden kann, dieser Hoffnung zu entsprechen.[33] Diese Form ist daher abschliessend näher zu betrachten.
3.2. Care in Warenform: modern und professionell?
Bei der Warenförmigkeit von Care ist zunächst zu betonen, dass es sich bei dieser Form keineswegs nur um einen Effekt der Privatisierung handelt. Betrachtet man nämlich die Organisation der öffentlichen Care-Dienstleistungen, so wird deutlich, dass heute paradoxerweise der Staat selbst zum hauptsächlichen Promotor der Warenförmigkeit von Care geworden ist, indem er seine Dienste insbesondere auch dann, wenn er selbst weiterhin deren Anbieter bliebt, in dieser Weise organisiert. So werden im Rahmen von New Public Management marktähnliche Steuerungsmechanismen eingeführt, die die Anbieter von Care-Dienstleistungen, unabhängig davon, ob es sich um private oder öffentliche Träger handelt, zwingen, ihre Dienste als klar definierte Produkte zu designen, die sich auf Quasi-Märkten in einem vom Staat initialisierten künstlichen Wettbewerb zu bewähren haben. Ob es sich um Bildung, soziale Dienstleistungen oder das Gesundheitswesen handelt, in jedem Fall wird angenommen oder unterstellt, es sei möglich, die darin angebotenen Dienste – entsprechend der Produktion von Gütern – als Leistung mit einem klaren Produkteprofil zu konzipieren, die die Vergleichbarkeit gewährleisten und somit eine Kosten-Nutzen-Abwägung ermöglichen soll.[34] Dabei ist die Vorstellung leitend, dass das durch die Nachfrage gesteuerte Marktprinzip, selbst dann, wenn es künstlich induziert ist, sowohl zu einem effizienteren Einsatz der Mittel wie gleichzeitig zu einer Optimierung der Qualität führt (Binswanger 2010: 44-51).
Als Beispiel dafür, dass die Warenförmigkeit von Care-Dienstleistungen auch jenseits von Privatisierungsbestrebungen vom Staat selbst und damit unabhängig von der eigentlichen Kommerzialisierung eingerichtet wurde, sei auf das Beispiel der DRGs als vermutlich der frühesten Form der Einführung marktlicher Steuerungselemente im öffentlichen Sektor verwiesen. Bei diesem in den USA entwickelten Abrechnungssystem waren es die öffentlichen Krankenhäuser selbst, die dieses heute in den meisten EU-Staaten zur Anwendung gelangende System von Fallpauschalen im Rahmen von Medicare – dem staatlichen Versorgungssystem für Chronischkranke und Pensionierte – ursprünglich angeregt hatten. Dabei waren es zunächst nicht Ökonomen, sondern Wirtschaftsingenieure (Industrial Engineers) aus der Luft- und Raumfahrtindustrie, die in den 1960er Jahren zuhanden der öffentlichen Krankenhäuser und auf deren Geheiss hin ein Produkt konzipierten, das den staatlichen Krankenhäusern gegenüber den Kostenträgern erlaubte, ihre Leistung auszuweisen. Die sich später daran anschliessende Umstellung auf ein prospektives Abrechnungssystem hatte gravierende Auswirkungen, insofern darin nicht mehr die real erbrachte Arbeitsleistung in Rechnung gestellt wird, sondern ein fertiges „kohärentes Produkt“, das sich über die Verknüpfung eines ähnlichen „Ressourcenkonsum-Profils“ mit einer Diagnose, der „klinischen Kohärenz“, definiert und das die Wirtschaftsingenieure DRGs (diagnostic related groups) nannten (Samuel et al. 2008: 260f). Die Erfindung eines Produkts auf der Grundlage der Verbindung von homogenem Ressourcenverbrauch und klinischer Kohärenz, das das Krankenhaus produziert, erlaubte es den Wirtschaftsingenieuren, die unendliche Vielzahl von Patienten in eine beschränkten Anzahl klar definierter Produkte umzuwandeln, was es wiederum den Wirtschaftsprüfern (Accountants) ermöglichte, die Effizienz eines Krankenhauses zu prüfen, indem sie die Kosten dieser Produkte in den unterschiedlichen Krankenhäusern miteinander verglichen (ebd.: 260).[35] Damit einher ging die Notwendigkeit, dieses – so gefundene – Produkt zu standardisieren.
Samuel et al. zeigen in ihrer Studie zur Erfindung der DRGs, wie bei der Entwicklung dieser Standards die feststellbaren Unterschiede des ärztlichen Handelns systematisch eine Neubewertung erfuhren, indem diese Unterschiede nun zu „statistischen Abweichungen“ mutierten (ebd.: 257). Dabei wurde die Variabilität im ärztlichen Urteil nicht länger als Effekt des professionellen Handelns (professional judgement) und damit als eine der Heilkunst intrinsischen Sache angesehen, sondern als „statistische Variable“ in einem Produktionsprozess, die es nach Möglichkeit auszugleichen galt (ebd.: 261). In der Entwicklung ihres Produktes entdeckten die Wirtschaftsingenieure nämlich, dass Behandlungen grosse statistische Unterschiede aufwiesen, sowohl was die Behandlungsdauer, die Kosten wie den Erfolg betraf. Diese Unterschiede nahmen sie zum Anlass, einen Mittelwert zu generieren, der als „ärztlicher Standard“ für alle Verbindlichkeit beanspruchen sollte (ebd.: 259). Dass dadurch das für das ärztliche Handeln zentrale Element des ärztlichen Urteils verloren ging, nahmen die Ingenieure nicht nur in Kauf, sondern betrachteten es als die eigentliche Errungenschaft dieses Prozesses, der als Modernisierung und Qualitätssicherung angesehen wurde.
Ein ähnlicher Prozess lässt sich rund zwanzig Jahre später auch für die Soziale Arbeit feststellen. So zeigen John Harris et al. für England, wie, eingeleitet durch die konservative Regierung unter Margaret Thatcher, tatsächlich durchgesetzt aber erst nach der Machtergreifung von New Labour 1997, das ältere sozialbürokratische System des Fordismus, welches der Profession der Sozialarbeiter in ihrer Berufsausübung weitgehende Autonomie zugestand, systematisch durch ein aus der Privatwirtschaft stammendes Managementsystem abgelöst wurde, das sich strikte an der Performance orientiert (Harris/White 2009: 4-6). Dieses performance management richtete sich entlang von – letztlich von New Labour vorgegebenen – Zielvorgaben aus, für deren Ausführung und Durchsetzung nun nicht länger die Professionellen selbst, sondern berufsfremde Manager zuständig sind (Harris/Unwin 2009: 9-15). Dieser Wandel zu einem managerialist approach to performance (ebd.: 11), in welchem die lokalen Behörden gegenüber einer externen Körperschaft Rechenschaft abzulegen haben, welche Resultate sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln erreicht haben, wobei die Performance der jeweiligen Behörden in einem Audit-Verfahren als naming and shaming reports publiziert werden, ist Ausdruck eines generellen Misstrauens gegenüber den nun als ineffizient, wenn nicht sogar von eigenen Interessen oder Weltanschauungen geleitet geltenden Entscheidungsfindungsprozessen der Professionellen selbst (Harris/Unwin 2009: 13f). Während im fordistischen System das Know-how der Profession gegenüber ihrer Verwaltung Vorrang hatte, indem die „Nicht-Normierbarkeit, mangelnde Standardisierbarkeit und Rationalisierbarkeit“ als das eigentliche Charakteristikum personenbezogener Dienstleistungen angesehen und folglich davon ausgegangen wurde, dass die Profession bezüglich der sachlichen Ausübung ihrer Tätigkeit über die eigentliche Kompetenz verfüge (Ziegler 2006: 141), gerät heute im Zuge dieser „Modernisierung“ genau dieses Know-how unter den Verdacht der Willkür oder zumindest Ineffizienz (ebd.: 145). Die Tendenz bestehe, so fasst Holger Ziegler diese Einwicklung zusammen, „im Rahmen der Umgestaltung sozialpolitischer Steuerung an manageriellen Kriterien ausgerichteten Expertisen sowie Diagnose- und Profilingbögen eher Vertrauen zu schenken als den ‚Einschätzungen‘ der Professionellen“ (2006: 144). Ein Effekt dieser sogenannt „wirkungsorientierten“ Steuerung ist, dass im Namen der Qualitätssicherung minutiöse und bis ins kleinste Detail gehende Regelungen der eigentlich professionellen Handlung kaum mehr Raum lässt.[36] Dabei verspricht das Audit-Verfahren infolge der Standardisierung der Handlungsabläufe und deren fortlaufender Überprüfung anhand messbarer Daten die stetige Verbesserung der Qualität (Harris/Unwin 2009: 25).
Dies verweist auf das schwierige Problem einer stillschweigenden, aber fundamentalen Neuauslegung dessen, was Qualität meint, die heute Relevanz für den gesamten Care-Sektor hat. Im Kern des prospektiven Abrechnungsverfahrens, das sowohl in den Fallpauschalen der DRGs wie in dem in der Sozialen Arbeit heute zur Anwendung gelangenden Kontraktmanagement und den darin involvierten Ziel-Leistungsvereinbarungen zum Zuge kommt,[37] steht der Zwang, die zu erbringende Leistung in die Form eines klar definierten Produktes zu bringen resp. es als solches abzubilden. Dabei ist die Analogie mit der Fertigungsindustrie, wie sie beispielhaft durch die Funktion der Wirtschaftsingenieure bei der Entwicklung der DRGs zum Ausdruck kommt, nicht zufällig; sie verweist vielmehr auf ein den divergierenden Produktivitäten entsprechendes Problem. Was für die Güter der Güterproduktion stimmt: dass statistische Abweichungen auf ein Qualitätsdefizit verweisen, stimmt für die Leistungen des Care-Sektors gerade nicht, weil die personenorientierten Dienstleistungen es mit einer zumindest statistisch nicht einholbaren Komplexität zu tun haben resp. ihre Qualität sich gerade daraus definierte, dieser Komplexität individuell und von Fall zu Fall gerecht zu werden. Die Variabilität wäre hier also ein Merkmal von Qualität. Doch genau dieser Umstand wird unter dem Zeichen eines Qualitätsmanagements, das aus der Güterproduktion stammt, in sein Gegenteil verkehrt, indem nunmehr die Variabilität als eine Abweichung von einem „professionellen Standard“ erscheint. Das Terrain des professionellen Handelns wird damit fundamental umgestaltet und auf eine sachfremde – wenn auch aus dem Blickwinkel von Wirtschaftsingenieuren durchaus adäquate – Logik kalibriert. Samuel et al. schreiben, nun wiederum in Bezug auf das veränderte Terrain, auf dem die Ärzte ihr Handeln legitimieren müssen: „In defending itself on the grounds of quality, the medicial profession now struggles on a terrain that frames quality as statistical variations rather than as the consequence of incalculable judgement“ (ebd.: 252).
Mit der Fassung personenbezogener Dienstleistungen als ein Produkt geht demnach auch eine fundamentale Verschiebung im Verständnis von Professionalität einher: Während im traditionellen Berufsverständnis der professionals Unterschiede in den Vorgehensweisen auf die eigentliche Professionalität verweist, implizieren diese aus der Sicht der Fertigungsingenieure als numerisch kalibrierte Variationen eine Norm, die folglich als Standard fungieren kann, auf die das professionelle Handeln verpflichtet wird.[38] Wie das Beispiel der DRGs zeigt, ging dieser Prozess der eigentlichen Kommerzialisierung, d.h. Handelbarkeit dieser Dienstleistungen als Ware voraus, deren Grundlage er vielmehr war. Im Falle der DRGs bedurfte es der Gesetzgebung, die dieses zunächst ausserhalb eines existierenden Marktes entwickelte Produkt mit einem Markt in Verbindung brachte und damit medizinische Dienstleistungen überhaupt erst handelbar machte. Erst die Gesetzgebung von 1983, die die DRGs als Fallpauschalen zum offiziellen Abrechnungssystem für medizinische Dienstleistungen erklärte, brachte „dieses konstruierte Produkt ohne Markt mit einem Markt zusammen, für den es bisher kein Produkt gab“ (ebd.: 274).
Die Verknüpfung von Professionalisierung und Standardisierung legt die Frage nahe, ob die in andern Care-Berufen wie der Pflege, der Sozialen Arbeit, aber auch der Kleinkindererziehung sehr viel später einsetzende Professionalisierung und deren wissenschaftliche Etablierung an den Hochschulen nicht überhaupt in diesem Kontext gesehen werden müssen. Jedenfalls scheint sich im Zuge der Verwissenschaftlichung die Definition von standardisierten Arbeitsabläufen durchzusetzen und damit ein Verständnis von Professionalisierung, das der Produkteorientierung und damit der Warenförmigkeit von Care Vorschub leistet.[39] Die Warenförmigkeit von Care muss deshalb in einem sehr viel umfassenderen Sinn verstanden werden.
Michel Foucault macht in seinen Studien zur neoliberalen Gouvernementalität deutlich, dass die wesentliche Neuerung neoliberaler Regierungsrationalität gegenüber dem Liberalismus darin besteht, den Wettbewerb und somit den Markt nicht länger als natürliche Gegebenheit aufzufassen, die man folglich der Logik des laissez faire überlassen könnte. Vielmehr muss dieser Wettbewerb als Effekt einer „Regierungskunst“ aktiv hergestellt werden. So betrachtet scheint die „Künstlichkeit“ der künstlichen Wettbewerbe auf den vom Staat initialisierten Quasi-Märkten geradezu paradigmatisch für die Erkenntnis der Ordoliberalen, dass der Wettbewerb stets nur „das Ergebnis langer Bemühungen“ und „folglich eine[r] äusserst aktive[n] Politik“ (2004b: 173f) sein kann. In der Weiterführung dieses ordoliberalen Gedankengutes durch den amerikanischen Neoliberalismus geht es dann darum, dieses Markprinzip „im ganzen Gesellschaftskörper und im ganzen Sozialsystem, das sich gewöhnlich nicht durch monetäre Tauschhandlungen vollzieht“, zu verallgemeinern. Das bedeutet, die Analyse in Begriffen von „Angebot und Nachfrage“ zu einem „Raster der Verständlichkeit“ für die „Deutung aller sozialer Beziehungen“ zu machen, also auch der „nicht-wirtschaftlichen Prozesse (…) und Verhaltensweisen“, die andernfalls, so Foucault, nicht auf diese Weise erschienen wären: „eine Art ökonomische Analyse des Nicht-Ökonomischen“ (ebd.: 336f). Der Staat übernimmt heute im Sozialbereich genau diese Funktion, indem er Quasi-Märkte einführt, um das Wettbewerbsprinzip auch dort zu generalisieren, wo kein Markt existiert. Geradezu exemplarisch scheint die EU-Sozialpolitik diese These Foucaults zu veranschaulichen, deren explizites Ziel es ist, mithilfe vorgelagerter Märkte eine wettbewerbliche Rahmenordnung in den Bereich der Sozialen Dienstleistungen einzuführen und im selben Zug in ihrer Rechtsprechung zunehmend deren nicht-wirtschaftlichen Charakter aufzuheben (Eichinger 2009: 36-52; Dahme/Wohlfahrt 2012a: 20).
Es ist deshalb ganz zentral zu sehen, dass es sich bei der Einführung von Quasi-Märkten und künstlichen Wettbewerben über die eigentlichen Sparmassnahmen hinaus um eine neue Form politischer Steuerung handelt (Manzei et al. 2014: 16f). Folgen wir der Analyse Foucaults, liegt im Kern des neoliberalen Denkens nicht nur die Erkenntnis, dass Wettbewerbe stets künstlich herzustellen sind, sondern dass sie als eine eigene Form von Regierung aufgefasst werden müssen – in der Vorstellung der Neoliberalen als die geeignetste Form der Regierung des Sozialen überhaupt. Bei der Generalisierung des Markprinzips geht es demnach nicht lediglich um die Frage von privatwirtschaftlichen Profitinteressen. Während nämlich Kommerzialisierungsbestrebungen und Sparmassnahmen sowohl in der Öffentlichkeit wie bei den Arbeitenden selbst auf Ablehnung oder zumindest Widerstand stossen, findet die mit der marktähnlichen Steuerung einhergehende Warenform sehr viel mehr Akzeptanz: Viele der in diesen Prozess involvierten AkteurInnen stimmen wenn auch nicht dem Projekt einer Entsolidarisierung so doch den damit einhergehenden Steuerungsinstrumenten oftmals unkritisch zu.[40] Da es sich hierbei um das wichtigste Arbeitsfeld von Frauen handelt, wäre es von einem feministischen Standpunkt aus dringend angezeigt, die veränderten Arbeitsbedingungen unter diesem Aspekt einer „aufgeklärten Entfremdung“ zu beleuchten.[41] Die Arbeitssoziologie trug jedoch bisher der Spezifik des Care-Sektors kaum Rechnung. Insbesondere kann ihr Begriff der Subjektivierung der Arbeit den für den Care-Sektor spezifischen Aspekt, dass hier ein intersubjektiver Prozess formalisiert und damit in gewisser Weise gerade entsubjektiviert wird, nicht fassen. Vielmehr scheint hier in einer verwickelten Kombination von Generierung von Akzeptanz und Entfremdung eine Landnahme sowohl subjektiver wie materieller Ressourcen stattzufinden, die sich gleichzeitig als Professionalisierung und Emanzipation darstellt.[42] Es soll deshalb abschliessend versucht werden, jenseits der einzelnen Berufssparten anhand von fünf Punkten die wichtigsten Grundzüge dieses neuen Steuerungsmodus, der mit der Warenförmigkeit von Care einhergeht, herauszuarbeiten und dabei gleichzeitig nach den Bedingungen der Akzeptabilität zu fragen.
- Im Zuge eines neuen Professionsverständnisses meint Professionalisierung die Implementierung eines Standards, der aufgrund der „wissenschaftlichen Zerlegung“ von Arbeitsabläufen gefunden und auf den das professionelle Handeln verpflichtet wird. Die Individualität der professionellen Einschätzung gerät demgegenüber in den Verdacht der Willkür. Dies gilt für so unterschiedliche Praxisfelder wie der Pflege und der sozialen Arbeit gleichermassen. So zeigt Ziegler, wie durch die Einführung von „Evidence-Based Practice“ in der Sozialen Arbeit die auszuführende Arbeit eigentlich keine Fachkenntnisse mehr erfordert, insofern anhand von „Praxis-Guidelines“ „standardisierte statistische Entscheidungsanalysen“ die nun für überholt angesehene professionelle Entscheidung ersetzen (2006: 150f).[43] Für die Pflege zeigt Eva Maria Krampe, wie im Zuge der Akademisierung pflegewissenschaftliche Analysen von Pflegeabläufen dazu dienen, solche Standards zu kreieren, was sowohl eine Intensivierung der Arbeit ermöglicht, wie letztlich die Grundlage für die Durchsetzung der Ökonomisierung bedeutet.[44] Gerade in der Pflege war die Professionalisierung damit gleichzeitig die Grundlage marktwirtschaftlicher Regulierungsmechanismen, wie sie im Gesundheitswesen seit den 1990er Jahren systematisch eingeführt wurden. Von den Promotorinnen selbst wurde dieser Prozess jedoch als Aufwertung der Pflege (miss)verstanden, die sie mit der Hoffnung auf eine grössere Eigenständigkeit der Pflege verbanden (Krampe 2014: 192). Unter dem Aspekt der Landnahme könnte man sagen, dass die für die Generierung von Standards notwendige Messung und Standardisierung von Leistungen einer Entwendung des Wissens der Praktikerinnen gleichkommt, wobei dieses so gewonnene Wissen als Standards in einem zweiten Schritt dann gegen die Praktikerinnen selbst gerichtet wird. Dabei ist zu bedenken, dass Standards keineswegs „neutrale Objektivierungen tatsächlicher Ereignisse“ sind, sondern vielmehr immer normgeleitete Grundannahmen miteinschliessen, die jedoch nicht als solche kenntlich sind (Manzei 2014: 226). Dies verweist auf den zweiten Aspekt:
- Das professionelle Handeln wird so zu einem Effekt eines permanenten Monitoringprozesses, wobei der oder die Handelnde die Daten dieses indikatorenbasierten Monitorings gewissermassen subjektivieren muss: So zeigt Alexandra Manzei für die Arbeit auf einer Intensivstation, dass Kennzahlen und Indikatoren im Sinne der Transparenz und Offenlegung jederzeit auch für die Pflegenden einsehbar sind, was es ihnen ermöglicht, in einem Acitivty Based Costing ihre erbrachten Leistungen beständig mit den prospektiven Fallpauschalen abzugleichen. Anders als in der tayloristischen Arbeitsorganisation ist hier die Professionelle also nicht nur Ausführende, sondern Handelnde und Controllinginstanz in einer Person. Anweisungen werden in dieser „indirekten Form der Steuerung“ nicht mehr ‚von oben‘ erteilt, sondern über das „selbstbestimmte Handeln der Akteure vermittelt“: Die Anweisung entspringt gewissermassen der Sache selbst (2014: 230f). So spricht Manzei von einer paradoxen Zunahme von Verantwortlichkeit bei gleichzeitiger Abnahme realer Einflussmöglichkeiten, insofern den Ausführenden zunehmend Managemententscheidungen zugeschrieben werden, ohne dass sie jedoch auf die Rahmenbedingungen, z.B. die Budgetierung, Einfluss nehmen können (ebd.: 229). Neben die tayloristische Arbeitsorganisation tritt so eine Art kybernetische Selbststeuerung (Friesacher 2010: 61f), indem sich Handlungsabläufe entlang scheinbar neutraler Vergleichsdaten ausrichten, die gleichzeitig jedoch immer von ökonomischen Kriterien überlagert werden.[45] Insbesondere Konzepte wie evidence based und best practice folgen dieser kybernetischen Logik, indem sich hier ein Wissen mittels Informationsrückfluss quasi kybernetisch selbst generiert (Harris/Unwin 2009: 18). Der Status von „Wissen“ hat sich dadurch grundlegend verändert (Ziegler 2006: 145-147): Durch die Erhebung von Daten und deren Rückspeisung ins System werden Optima gefunden, für die es keinen greifbaren Autor mehr gibt. In den Worten Samuels et al. implizierte diese „statistische Prozesskontrolle“ (2008: 257) eine „Sicht von nirgendwo“ (256), die als „Politik der Sachen“ (Milner 2011) deshalb keinen Autor mehr kennt, weil die handlungsleitende Norm den Handlungen und Handelnden selbst entnommen ist.[46] Praxen wie evidence based und best practice verlangen daher von den Professionals die subjektivierende Verkörperung einer entpersonalisierten Evidenz. Umgekehrt lässt sich auch formulieren, dass der Monitoringprozess selbst, wie Harris/Unwin für die Soziale Arbeit bemerken, zunehmend zu einem Simulakrum für den direkten Kontakt geworden ist, worin „the system of signification (documentation) has become the thing itself“ (2009: 25f).
- Damit in direktem Zusammenhang steht ein weiteres Moment: Evaluative Verfahren erscheinen unautoritativ, weil sie gewissermassen alle gleichermassen entmachten. Die traditionelle Autorität, beispielsweise in Form der viel kritisierten „Götter in Weiss“, ist der „Team-Persönlichkeit“ gewichen (Abholz 2013:6f), die das Gegenüber nicht entmündigt, sondern es vielmehr zu Partizipation und geteilter Verantwortung einlädt und damit in seiner Autonomie adressiert. Diese Delegitimierung von Hierarchie, die paradoxerweise mit der gleichzeitigen Zunahme rigidster Kontrollmechanismen einhergeht, entnennt jedoch systematisch das eigentlich konstitutive Moment jeder Care-Beziehung, nämlich, dass es sich um ein asymmetrisches Verhältnis handelt, in dessen Kern per Definition nicht die Autonomie, sondern die Abhängigkeit steht. Als Beispiel sei hier das in durchaus emanzipativer Absicht entwickelte Konzept des „Nutzers“ genannt, das in der Sozialen Arbeit den Klienten oder Mandanten ersetzen soll. Dieses aus der Kritik am bevormundenden Charakter bürokratisch-sozialstaatlicher Einrichtungen entstandene Konzept folgt letztlich einer Logik, die einen nach Möglichkeit gut informierten und wählenden Bezüger von Care-Dienstleistungen postuliert.[47] Der Umstand, dass genau diese Wahl und damit das selbstbestimmte Handeln in jener Bedürftigkeitslage, die am Grunde jeden Care-Verhältnisses steht, nicht möglich ist, verwickelt sowohl den Care-Leistenden wie den Bezüger in einen Double Bind (Braun 2009: 33). So zeigen Samuel et al. wiederum für das Gesundheitssystem, wie die Unwissenheit des Patienten, die einst die Notwendigkeit des ärztlichen Urteils gestützt hatte, in diesem Paradigmenwechsel zum Fundament der „Souveränität des Konsumenten“ wird, die den Bezug von „Gesundheitsgütern“ nun als Effekt einer aufgrund bestimmter Vorlieben entstandenen Wahl erscheinen lässt (Samuel et al.: 266).
- Trotzdem ist es vermutlich genau dieses Element, das für die Akzeptanz dieser neuen Steuerungsmechanismen bis weit in gesellschaftskritische Kreise hinein verantwortlich ist. Gerade dem evidenzbasierten Wissen scheint auch aus einer linken Perspektive das Moment der Selbstermächtigung anzuhaften. Wie die bekannte feministische Gesellschaftstheoretikerin Ann Oakley für Evidence Based Medicine formuliert, vermöge dieses Wissen den Laien vor der Arroganz der Professionals zu schützen, insofern die Weise von dessen Generierung streng wissenschaftlich und damit unabhängig vom Gutdünken der ausführenden Professionals sei. Das Verführerische scheint hier also die Hoffnung auf ein „fundamental anti-autoritäres“ Wissen zu sein.[48] So zeigt Peter Streckeisen für die Schweizer, wie die Bildungsökonomie auf zunehmende Akzeptanz auch in der Linken zählen kann, weil ihr Angebot eines „indikatorenbasierten Monitorings“ als Übergang von „einer politischen und normativen Steuerung zu einer rationalen und evidenzbasierten Bildungspolitik“ wahrgenommen wird (2013: 139), in welchem auch linke Postulate wie das Recht auf Bildung aufgehoben scheinen. Es ist dieses (vermeintlich) enthierarchisierende Moment, das ursprünglich linke Anliegen aufgreift, um sie in ökonomische Begriffe zu übersetzen, was die Zustimmung auch in der Linken generiert (ebd.: 144f). Das heisst, was sich von dieser Warenförmigkeit durchsetzt, ist die Vorstellung einer Versachlichung mit Hilfe von rein prozeduralen Verfahren, die sich von den Unwegsamkeiten von Autorität und Hierarchie lösen. Die formale Reinheit von Evaluationsverfahren und Rankings generiert in dieser Sicht eine Vergleichbarkeit, die zugleich gerecht, weil demokratisch und transparent, und effizient und damit am rationalsten erscheint.
- Und dies verweist zurück auf den hauptsächlichen Fokus dieses Beitrages: Das Angebot markförmiger Steuerungsmechanismen scheint auch für Frauen darin zu bestehen, die Unwegsamkeiten des Zwischenmenschlichen in einen formalen Prozess überführen zu können. Wenn die Akteurinnen auch nicht dem entsolidarisierenden Aspekt der Ökonomisierung zustimmen, so scheint doch die der Gestaltung dieser Dienste als Ware anhaftende ‚rationale‘ Form einiges für sich zu haben. So betrachtet stellen die Restrukturierungen im Care-Sektor der letzten 40 Jahre ein Angebot zur Versachlichung und Handhabbarkeit für die ‚leidigen‘ zwischenmenschlichen Belange und deren Unwegsamkeiten dar, mit denen Frauen aus historischen Gründen verbandelt sind, indem sie aus diesen zunächst eine ‚normale‘ Dienstleistung und dann ein Produkt zu machen versprechen, das sich auf einem Markt behaupten kann. Dass darin alles, was nicht formalisierbar ist resp. nicht in den Standards abgebildet werden kann, auf der Strecke blieb – und damit in gewisser Weise der Kern der Care-Arbeit selbst –, nahmen die Fürsprecherinnen dieses Prozesses nicht nur in Kauf, sondern sie verbanden damit die Hoffnung, die den typisch ‚weiblichen‘ Berufen anhaftenden Stigmas wie „Intuition, Emotionalität und Irrationalität“ und die damit einhergehende Entwertung abwehren zu können. So beschreibt Eva Maria Krampe für die Pflege, wie der Diskurs der Professionalisierung „gegen das in der Pflegepraxis diagnostizierte emotionale, intuitive Handeln und die diffusen, kaum beschreibbaren Tätigkeiten“ „rationale messbare und transparente Arbeitsabläufe“ etablieren wollte, in denen die „Erfüllung pflegerischer Aufgaben nicht auf Intuition gründen“ sollte, sondern auf wissenschaftlicher Erkenntnis und ökonomischen Prinzipien. Die Anrufung wirtschaftlicher Rationalität als Gegenpol zur diffusen ‚weiblichen‘ Arbeitsweise macht verstehbar, warum die Professionalisierung zu einer „faktischen Unterstützung der Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien“ werden konnte (2014: 186f).
Abschliessend muss jedoch betont werden, dass die hier beschriebene Warenförmigkeit von Care und die damit einhergehenden Probleme keinesfalls dem Umstand der Bezahlung dieser Arbeit geschuldet sind. Sie sind vielmehr die Folge künstlich hergestellter Knappheit, die sich politischer Entscheidungen verdankt. Genau diese Rahmenbedingungen werden, wie Fabian Kessl zurecht feststellt,[49] in einer so verstandenen Professionalisierung jedoch systematisch ausgeblendet, die in ihrer Mikrozentriertheit – und damit letztlich auch Einsetzung einer verzerrten Optik – strukturelle Zwänge so übersetzt, dass sie individuell handhabbar erscheinen. Und es ist dieses Element, das sich mit dem an sich schon schwer zu durchschauenden emanzipatorischen Angebot verknüpft, das der Neoliberalismus in einer verwickelten Kombination von Modernisierung und Enteignung Frauen macht.
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[1] Ich danke den Teilnehmerinnen der von mir bei der Gewerkschaft VPOD in Zürich (Verband Personal öffentlicher Dienste) durchgeführten Seminare, denen ich die meisten hier vorgestellten Überlegungen zu verdanken habe.
[2] Vgl. Frauen in der Offensive (1974). Einen guten Rückblick gibt Mies 2009.
[3] Wobei es auch eine gewisse Kontinuität gibt zwischen der älteren Hausarbeitsdebatte und der sich seit Ende der 1989er Jahre bildenden Feministischen Ökonomie, vgl. dazu Caglar 2009: 230-235.
[4] Vgl. zu diesem Punkt S. Donaths Begriff The other economy, die sich um „die direkte Produktion und Erhaltung von Menschen“ kümmert (2001: 115; dt. 2014: 167). Vgl. dazu die Würdigung von Madörin (2014: 179f). Care-Ökonomie umfasst in Anlehnung an Madörin das tägliche Versorgen von Menschen, was u.a. bedeutet, dass Produktion und ‚Konsum‘ nicht getrennt werden können (2007: 142f; 2006: 277-286). Zum bezahlten Care-Sektor gehören gemäss der gängigen Verwendung in der feministischen Ökonomie: Bildung, Gesundheit/Pflege, Sozialwesen/Soziale Arbeit und Erziehung.
[5] Vgl. zu dieser Entwicklung für die Soziale Arbeit in Deutschland Nodes/Wohlfahrt (2012: 113/119/224) und Dahme/Wohlfahrt (2012a: 23f), die betonen, dass dieser Trend vor allem Frauen betrifft. 43,17 % der Beschäftigten in den Sozialen Diensten arbeiten 2010 Teilzeit (Nodes/Wohlfahrt 2012: 120). Vgl. allgemein zu Prekarisierungstendenzen in der Sozialen Arbeit für Deutschland Dahme/Trube/Wohlfahrt (2007).
[6] Dies ist eine Entwicklung, die sich in allen weitentwickelten westlich-kapitalistischen Gesellschaften findet. Vgl. für die Europäische Union Maier (2010: 246-253), die für die Länder der EU einen Zusammenhang herstellt zwischen der von den wirtschaftspolitischen Leitlinien der EU forcierten Liberalisierung der Wohlfahrtsregime und der steigenden Teilzeitarbeit von Frauen, die mehrheitlich auf den Anstieg des Niedriglohnsektors im Care-Bereich zurückzuführen ist. (Einzig für die skandinavischen Länder, die bis vor kurzem dieser Liberalisierung nicht folgten, lässt sich keine solche Tendenz eines feminisierten Niedriglohnsektors feststellen. (ebd.: 245)) Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt McDowell für England, die aufzeigt, wie seit den 1950er Jahren der permanente Anstieg personenbezogener Dienstleistungen zu einem Niedriglohnsektor geführt hat, in welchem mit grosser Mehrheit Frauen arbeiten (2009: 38f). Diesen Zusammenhang findet sich auch für Österreich, wo bspw. 85 % der Tätigen im öffentlichen Pflegebereich Frauen sind (Appelt et al. 2010:12).
Dass trotz der Ausweitung des bezahlten Care-Sektors die Arbeit in den Haushalten nicht weniger geworden ist und diese mehrheitlich in den Händen der Frauen verbleibt, belegen für Deutschland Kohlmorgen (2004: 282), für die Schweiz Madörin et al. (2012: 46), die berechnen, dass 2004 der Umfang der unbezahlten Care-Arbeit das Volumen der gesamten Erwerbsarbeit um 20 % übersteigt. Frauen übernehmen von dieser unbezahlten Arbeit rund zwei Drittel (ebd.: 49f; Madörin 2010: 92-97). Zu einem ähnlichen Resultat kommt Winker für Deutschland (2011: 333f). Für die Schweiz hat Madörin (2007: 146) zusammenfassend berechnet, dass Frauen vier Fünftel ihrer Lebensarbeitszeit im bezahlten und unbezahlten Care-Sektor verbringen.
Zu den makroökonomischen Grundlagen eines zunehmend verschärfenden Widerspruchs zwischen der von der globalen Kapitalakkumulation forcierten Liberalisierung und den Erfordernissen sozialen Reproduktion vgl. Bakker/Gill (2003); Bakker (2003); Brodie (2004) und Razavi/Staab (2012).
[7] Was sich global als Care-chain und Care-drain darstellt.
[8] So die wichtige Grundannahme dieses Kompendiums, vgl. dazu die Einleitung der Herausgeber_innen.
[9] Vgl. dazu Harvey (2005) und Dörre (2009).
[10] Vgl. dazu Hirsch/Roth 1986: 10-45 und Hirsch 1995: 75-100.
[11] Vgl. dazu Silke Chorus: 2007b, 2011, 2007a: 44-100; 2013: 60-99.
[12] Wo mit personenorientierten Dienstleistungen trotzdem Gewinne erzielt werden wie beispielsweise in privatisierten Pflegediensten oder Kindertagesbetreuungseinrichtungen, ist dies nur möglich aufgrund eines massiven Lohndrucks, der meist zu Löhnen unterhalb des Reproduktionsniveaus der Care-WorkerInnen führt. Vgl. dazu z.B. Chorus 2013: 199.235.
[13] Wertschöpfungsschwach heissen in der Ökonomie all jene Arbeiten, die mittels Produktivitätssteigerung kaum schneller produziert werden können. Fast alle personenorientierten Dienstleistungen sind demnach wertschöpfungsschwach.
[14] Diese Entwicklung findet sich sowohl für das eher konservative Care-Regime der Schweiz (Madörin 2010: 100f; 2007: 159), wie auch im weitgehend neoliberalisierten Care-Regime für England (McDowell: 2009: 36-38); eindrückliche Zahlen über das Verhältnis von Beschäftigung im Care-Sektor im Verhältnis zum übrigen Teil der Wirtschaft finden sich für die Metropole New York bei Chorus 2013: 199-211. Eigens für den Bereich Soziale Arbeit berechnen Nodes/Wohlfahrt (2012: 115) einen jährlichen Anstieg der Beschäftigten zwischen 1980 und 2015 von durchschnittlich 5,6 %.
Die Eigenheit der Care-Arbeit, Massnahmen der Produktivitätssteigerung gegenüber wenig zugänglich zu sein, stellt jedoch die optimistische Haltung von Vertretern „produktivistischer“ Sozialpolitik-Modelle in Frage, die argumentieren, dass der Ausbau Sozialer Dienste letztlich auch privatwirtschaftlichen Interessen zugutekomme (z.B. Heinze 2013: 38). Hier muss klar festgehalten werden, dass sich privatwirtschaftliche Gewinne mit solchen Dienstleistungen nur um den Preis eines massiven Lohndumpings erwirtschaften lassen.
[16] Es ist wichtig zu betonen, dass es sich dabei um eine relative Kostenzunahme dieser Dienste im Vergleich zu den Gütern der Güterproduktion handelt, die sich daraus ergibt, dass die Produktionskosten der Güterproduktion infolge technischer Innovationen abnehmen. Vgl. dazu Madörin 2007, 150f.
[17] Was aber von den Grössenordnungen her auch für die EU-Mitgliedsstaaten gelten dürfte, vgl. Madörin 2007: 146; 2010: 106-108.
[18] Dasselbe trifft für die Verlagerbarkeit der ‚Produktion‘ zu: Während eine solche für industriell hergestellte Güter möglich ist und der Westen damit von den weltweit markanten Lohnunterschieden profitieren kann, können die meisten personenbezogenen Dienstleistungen nicht in ein Billiglohnland verschoben werden. Allerdings gibt es das Phänomen der Care-Migration in den Westen und auch die umgekehrte Bewegung, dass Pflegebedürftige in eigens dafür errichteten Alterssiedlungen in einem Niedriglohnland angesiedelt werden.
[19] Federici spricht in diesem Zusammenhang von einer „staatlichen Des-Investition in die Reproduktion der Arbeitskraft“ (2010: 12/2012: 77f.).
[20] „Friede, Eigentum und Gleichheit herrschen hier als Form, und es bedurfte der scharfen Dialektik einer wissenschaftlichen Analyse, um zu enthüllen, wie bei der Akkumulation Eigentumsrechte in Aneignung fremden Eigentums, Warenaustausch in Ausbeutung, Gleichheit in Klassenherrschaft umschlagen.“ (GW 5: 365f)
[21] „Eine hervorragende Rolle im letzteren Vorgang spielt in der marxschen Schilderung die Ausplünderung der Kolonialländer durch das europäische Kapital. Dies alles aber wohlgemerkt nur unter dem Gesichtswinkel der sogenannten ‚primitiven Akkumulation‘. Die angegebenen Prozesse illustrieren bei Marx nur die Genesis, die Geburtsstunden des Kapitals, sie bezeichnen die Geburtswehen bei dem Heraustreten der kapitalistischen Produktionsweise aus dem Schosse der feudalen Gesellschaft. Sobald er die theoretische Analyse des Kapitalprozesses gibt – Produktion wie Zirkulation – kehrt er ständig zu seiner Voraussetzung: allgemeine und ausschliessliche Herrschaft der kapitalistischen Produktion zurück.“ (GW 5: 313)
[22] GW 5: 314. Luxemburg widerspricht explizit der Annahme, es handle sich bei den nichtkapitalistischen Schichten lediglich um eine Frage der „Realisierung des Mehrwertes“, also des Absatzmarktes, indem sie immer wieder betont, dass die „sachlichen Elemente“ der Produktion u.U. ebenfalls diesem Milieu entstammen, und damit für das Kapital weit unter ihrem tatsächlichen Wert eingekauft oder gar geraubt werden können. Vgl. bspw.: „Dieses Verhältnis erschöpft sich nicht durch die nackte Frage des Absatzmarktes für das „überschüssige Produkt“, wie das Problem von Sismondi und späteren Kritikern und Zweiflern der kapitalistischen Akkumulation gestellt wurde.“ (314) Oder: „Die Realisierung des Mehrwertes ist indes nicht das einzige Moment der Reproduktion, auf das es ankommt.“ (303)
[23] Die „erweiterte Reproduktion“ ist Generierung und nachfolgende Reinvestition des Mehrwertes, also die vertraglich korrekte Form der Akkumulation, vgl. MEW 24: 485-518. Dieser Reproduktionsbegriff ist nicht zu verwechseln mit der „Reproduktion der Ware Arbeitskraft“, da Marx den Begriff der Reproduktion sowohl für die Arbeitskraft wie für die Reproduktion der gesamtkapitalistischen Verhältnisse verwendet.
[24] Federici (2010: 2/4) betont zu Recht, dass der produktivistische Bias von Marx ihn übersehen liess, dass parallel mit der Produktivität auch die Armut eines bestimmten Teils der Bevölkerung wächst.
[25] Dabei ist zu bedenken, dass jede prekarisierte Lohnarbeit in spezifischer Weise Ressourcen der Reproduktion anzapft, die zwar ausserhalb der Lohnarbeit stehen, gleichwohl aber in diese zurückfliessen.
[26] Vgl. dazu: Feministische Autorinnengruppe 2014.
[27] Dieser erstmals von Claudia von Werlhof verwendete Begriff (1983, ursprünglich 81/82) meint eine Lohnarbeit, die weder von der Organisation noch von der Entlohnung her existenzsichernd ist – die Arbeit wird wie die der Hausfrau als „Zuverdienst“ vorgestellt, obwohl sie es faktisch nicht ist.
[28] Marx ging davon aus, dass der Lohn zumindest alle Güter, die zur Reproduktion des Arbeiters und seiner Kinder notwendig sind, enthalten müsse. Er bestimmt so den Wert der Ware Arbeitskraft. Marx theoretisierte damit aber nicht den Umstand, dass viele Arbeiter nicht ununterbrochen in Lohnarbeit tätig sind, sich aber auch in dieser Zwischenzeit reproduzieren. In dieser so verstandenen Reproduktion ist die Arbeit von familiären Netzwerken zentral.
[29] Mies 2009: 265 spricht von einer „fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation“.
[30] Madörin 2010: 85/92-97; vgl. auch Anm. 4.
[31] Vgl. zu einer Analyse des massgeblich von der EU beförderten Gender Mainstreaming Jegher (2003).
[32] So zeigt Eichinger (2009: 168-171) für die Jugendhilfe, dass sowohl vom Status wie von der Entlohnung her diejenigen Sozialarbeitenden, die in direktem Kontakt mit den Jugendlichen stehen, gegenüber dem Management der sozialen Einrichtung zunehmend an Ansehen verlieren.
[33] Vgl. dazu Samuel et al 2005: 250.
[34] So zeigen für England Harris/White (2009: 1-3) eindrücklich, wie New Labor die sozialen Dienste des öffentlichen Sektors in dieser Weise ‚modernisiert‘ haben, indem sie mit Hilfe eines „performance management“ Marktsteuerungselemente in die Bereitstellung sozialer Dienste der öffentlichen Hand einführten. Vgl. dazu auch Harris/Unwin (2009: 13f). Für Deutschland betonen Dahme/Wohlfart die Rolle der EU bei der Restrukturierung der Dienste der Sozialen Arbeit im öffentlichen Sektor (2012a:18). Selbst die Schweiz als nicht EU Mitgliedsland übernimmt diese marktähnlichen Steuerungen in einer spezifischen Verbindung mit New Public Management (Güdel 2012: 136f).
[35] Der Vergleich als Steuerungsinstrument spielt auch bei der Restrukturierung der Sozialen Arbeit unter New Labour in England eine zentrale Rolle. Harris/Unwin zeigen, wie der Vergleich der Leistungen der einzelnen Regionen (local government) mittels regelmässiger Veröffentlichung von deren performance zu einem zentralen Steuerungselement geworden ist, dessen explizites Ziel es ist, mittels rankings die öffentlichen Ämter bezüglich ihrer Leistungserbringung in einen künstlichen Wettbewerb zu versetzen. Diese Rechenschaftspflicht bedingt, dass vorgängig konstruiert werden muss, „what counts as performance“, was eine zentralistische Standardisierung der Leistungen erforderlich macht (Harris/Unwin: 2009: 24f.).
[36] Zur Implementierung dieses wirkungsorientierten Steuerungsmodus auch in Deutschland vgl. Seithe (2012: 219-223). Für England Smith (2012: 38-40) und Harris/Unwin (2009: 20-23).
[37] So stellen Dahme/Wohlfahrt (2012b: 174f) für die Länder der Europäischen Union fest, dass sich das wirkungsorientierte Kontraktmanagement in der Sozialen Arbeit weitgehend durchgesetzt hat und sich damit auch das Wettbewerbs-Paradigma generalisiert. Dass dieser Trend auch über die EU hinausreicht, zeigt das Beispiel der Schweiz, die diese Steuerungsform ebenfalls implementiert hat (Güdel 2012:136-138).
[38] Dies verweist auf eine Doppelbödigkeit des Wort Standard: als the state of the art verweist es auf eine hohe Qualität oder den Anspruch auf Qualität. Als Standardisierung, die daraus folgt, hat es aber den gegenteiligen Beigeschmack von Gleichförmigkeit.
[39] So das Argument für die Pflege: Krampe (2014: 180) und Manzei (2014: 219). Für die Soziale Arbeit stellen Dahme/Wohlfahrt (2012a: 23) trotz der zunehmenden Akademisierung einen „Trend zur Entprofessionalisierung“ fest, der sich dem Umstand verdankt, dass im Zuge der Produkteorientierung „die Dienstleistungserbringung sich in arbeitssteuernde und arbeitserbringende Berufe“ aufteilt.
[40] Dabei bedienen diese Instrumente, wie die Rhetorik von New Labour bei ihrer Restrukturierung der Sozialen Dienste zeigt, offenbar ein in der Bevölkerung vorhandenes Misstrauen gegenüber der angeblichen Ineffizienz der staatlichen Bürokratie, vgl. Harris/Unwin (2009: 24f.).
[41] Zur Sozialen Arbeit vgl. die sehr erhellenden Interviews bei Eichinger 2009: 159-181.
[42] So deuten viele Ansätze der Professionalisierung in die Richtung, dass hier den Care-Arbeitenden nahegelegt wird, ihre Fähigkeit zur Abgrenzung zu entwickeln und nach Möglichkeit auf zu viel Einfühlung und Empathie zu verzichten. Das ‚Persönliche‘ wird hier, wie beispielsweise in leitfadengestützten Fallerhebungen, gewissermassen formalisiert.
[43] Ziegler zitiert für diese Aussage Vertreter von EBP, die dies offen zum Ausdruck bringen: „Die Hegemonie der Professionsideologie hat ihren Nutzen überlebt und ist kontraproduktiv geworden. Die Herausforderung, die vor uns liegt, besteht [vielmehr] darin, Wissenschaft zur Entwicklung ‚evidenz-basierter‘ [Massnahmen] einzusetzen.“ (Cullen/Genreau 2001: 334, zitiert nach Ziegler 2006: 151).
Zu einem ähnlichen Resultat kommt Hansen hinsichtlich der Einführung des Case Management in Deutschland, wo die damit einhergehende Steuerung und Standardisierung der Berufsvollzüge als Moment von Professionalität angesehen werden (2012: 159).
[44] Krampe 2014: 189-192. Auf diese Verknüpfung von Standardisierung von Wissen infolge der Professionalisierung verweist auch Manzei (2014: 223-226).
[45] So weisen Dahme/Wohlfahrt (2012a: 18) darauf hin, dass gerade die EU als fokaler Akteur eine „Regierung durch Dezentralität“ einsetzt, was es schwer macht zu verstehen, woher die Sachzwänge eigentlich kommen. Es ist nicht ohne Ironie, dass diese fokale Steuerung, die gleichzeitig ohne klar erkennbare Verantwortliche auszukommen scheint, wie Harris/Unwin für England unter New Labor bemerken, eine verblüffende Ähnlichkeit mit den stalinistischen Fünf-Jahresplänen aufweisen (ebd.: 26).
[46] Milner (2011: 41) spricht von einer „autogénération des critères“, aufgrund derer evaluiert wird. D.h. auch die Kriterien, die zu beurteilen sind, werden dem Evaluationsverfahren selbst entnommen.
[47] Zur Ambivalenz einer solchen Konzeption von „Nutzern“ und der damit verbundenen Vorstellung von Autonomie für die Kinder- und Jugendhilfe vgl. Kessl (2005: 209f) und allgemein für die Soziale Arbeit Seithe 2012: 225-227.
[48] So schreibt Oakley (2000: 312): „The accumulation and wider accessibility of evidence produced by this means would bring about nothing short of a revolution in the traditional relationship between the ‚lay‘ public as targets of interventions, on the one hand, and the professionals and others who practice these interventions on them, on the other. In this sense, scientific enquiry is fundamentally anti-authoritarian.“
[49] Kessl (2013, 152f) kritisiert, dass in Lehre und Forschung von Bildungswissenschaft und Sozialer Arbeit die wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen und die Bedingtheit der Profession systematisch ausgeblendet werden und dass somit die sozialen Dienste in ihrer „konstitutiven“ Bedeutung für die Transformation des Wohlfahrtsstaates nicht wahrgenommen werden (2013: 152f).
* Der Beitrag wird unter dem Titel „New modes of enclosures: A Feminist Perspective on the Transformation of the Social“ erscheinen in: Kessl, Fabian / Lorenz, Walter / Preston-Shoot, Michael / Otto, Hans-Uwe (Eds.): European Social Work – A Compendium (2017, im Erscheinen).
Haiko
“Insgesamt lässt sich deshalb sagen, dass wir heute nicht mehr von einem generellen Widerspruch oder Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit ausgehen können, wie das noch zu Marx’ Zeiten der Fall war. Nicht alle Lohnerwerbstätigen geraten heute unter Druck, sondern vorrangig diejenigen, die in irgendeiner Weise in Reproduktionsarbeit, bezahlte wie unbezahlte, involviert, d.h. im Care-Sektor tätig sind. So betrachtet verläuft der neue Widerspruch heute vielmehr zwischen dem wertschöpfungsschwachen und dem wertschöpfungsstarken Sektor resp. zwischen den Personengruppen, die jeweils darin beschäftigt sind.”
Wer mit marx’schen Begriffen operiert kann doch nicht so einen Unfug behaupten! Wo ist denn bitteschön für die Lohnabhängigen in den “wertschöpfungsstarken” Sektoren der grundlegende Widerspruch von Kapital und Arbeit verschwunden? Wo wird ihnen nicht ein Mehrwert abgepresst? Wo sind sie nicht mehr gezwungen, ihre Ware Arbeitskraft am Markte feilzubieten, um sich ausbeuten zu lassen? Grundlegende Erkenntnisse von Marx zu über kapitalistische Verhältnisse fallen so unter den Tisch. Als wäre der Schaden, den die bürgerliche Gesellschaft an ihren Subjekten vollzieht, allein im “Druck” zu sehen, unter dem sie mehr oder weniger geraten.
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