Vorschlag zur Lesbarkeit der Trumpwahl*

Noch nie gab es eine solche Fülle von Interpretationsmöglichkeiten für die Wahl beziehungsweise Nichtwahl eines amerikanischen Präsidenten. Zu verdanken ist dies der grossen Faktenfreiheit des Wahlkampfs und den, positiv ausgedrückt, rätselhaften Charakteren und vielsagenden Programmen von Clinton und Trump.

Darum ist auch nichts davon falsch, was jetzt viele als enttäuschte Freunde des Guten sagen: Dass die Wahl Trumps ein furchterregender Anachronismus des chauvinistischen Patriarchats darstellt, dass die Vorbehalte gegenüber Clinton einen frauenfeindlichen Kern hatten, Trumps Faktenverdrehungen einen neuen Meilenstein im unfairen Wahlkampf darstellen, dass viele, die Trump wählten, es einfach aus destruktiver Lust an der Sensation getan haben, es denen da oben mit dem Mittelfinger zeigen wollten oder dass in den Mediendemokratien die Tendenz besteht, dass immer der mit dem krassesten Auftreten gewinnt. Wobei zum Beispiel die in ihrer Hässlichkeit an seinen Geistesbruder Berlusconi erinnernde Frisur Trumps in Zeiten von social media, wo solche Spezialitäten ungeheuer wichtig werden können, sicher ähnlich «erfolgreich» war wie sein Sexismus. Etwas unheimlich ist einem als Schweizer schliesslich die Vorstellung, dass die Welt immer mehr so wird, wie sich das die Männerbündler der Weltwoche seit Jahrzehnten wünschen.

Doch gleichzeitig ist wahr, dass die Motive für das was wir tun, letztendlich immer gemischt, ja meist widerstreitend sind und dass es gerade für die Linke fahrlässig ist, diese menschliche Gemengelage nicht auch dem Protestwähler zuzutrauen. Denn sind nicht die schwarzmalerischsten Analysen der Linken in etwa von derselben Lust nach der Befreiung durch das Böse getrieben wie die Tiraden der Rechten? Wo die internationale Rechte in der Tradition des Marquis de Sade dem bösen Buben Trump in einer Ekstase der Selbstbefreiung zuruft: «Nur, weil du böse bist, kann ich dich lieben!» fühlt sich die Linke, je böser sie über seine Anhänger sprechen kann, vom schlechten Gewissen befreit, ihrem Hang zur Verachtung des Kleinbürgertums nachzugeben. Denn solche waren es mehrheitlich, die Trump gewählt haben. Trump ist, wie die NZZ feststellte, der König der Provinz. Die Provinziellen sehen in Trump sich selber in realer Weise repräsentiert, er wird im Weissen Haus das tun, was sie sonst nur in ihren zwar an der Welt angeschlossenen und doch so isolierten und mit hohen Hypotheken belasteten Häusern tun können: Alles mitansehen, zu allem eine Meinung haben und es den anderen zeigen. Die Wirkungen der digitalen Welt auf die menschliche Psyche und damit auf demokratische Prozesse sind kaum zu überschätzen und spalten die Gesellschaften mehr als die Klassenfrage oder präziser gesagt, sie wirken wie Drogen und bestätigen, verstärken und übertreiben meist das, was ist. Gebildete werden gebildeter, Ungebildete ungebildeter, Isolierte isolierter, Ängstliche ängstlicher, Hassende hassender. Das Netz ist oft nicht mehr als ein grosser Dämon der Selbstbestätigung im Guten wie im Schlechten.

Jeden Tag übers Netz mit der grossen Welt zu kommunizieren, neben Obama und Putin, beim IS und an der Wall Street zu sitzen und zu spüren, dass man diesen Welten in keiner Weise entspricht und ihr nichts als die eigene Meinung entgegensetzen kann, ist schwer erträglich. Trumps Slogan «Make America great again» hört sich für kosmopolitische Städter an wie ein Rückruf in den kleinlichen Nationalismus, den grössenwahnsinnigen Imperialismus oder wie die Zerstörung der Weltgemeinschaft. Doch wo täglich die Globalisierung mit der Begrenzung des eigenen Horizonts durch Zerfall der staatlichen Infrastruktur, des öffentlichen Lebens und des Bildungssystems zusammenfällt, klingt «Make America great again» eben nicht nur fremdenfeindlich oder engstirnig, sondern als die realere Vision zur Vergrösserung der eigenen, klein gewordenen Welt. Gerade die Kritik am Freihandel atmet Luft von beidem und Trump, der sie sich auf die Fahnen geschrieben hat, weiss das.

Die Verschlechterung der Lage von vielen AmerikanerInnen der unteren und mittleren Mittelschicht seit der Finanzkrise, die man längst nicht mehr nur als Ängste in den Bereich der Phantasien abschieben kann, ist vielfach belegt und erzählt. Es kann daher nicht im Interesse der Linken sein, auf deren Dämonisierungen ihrerseits mit Dämonisierung zu antworten. Vielmehr sollte sie es als ihre vornehmste Aufgabe betrachten, ihr geistig aufzuhelfen. Denn es besteht in Europa wie in den USA eine Gleichzeitigkeit zwischen dem Niedergang einer kämpferischen Linken, die sich um die materielle Verbesserung der Leute verdient macht, und dem Aufstieg einer moralischen Linken, die vor allem mit charakterlichen Forderungen an die Leute herangetreten ist. Doch wer wählt eine Linke, die die Menschen mit Argwohn betrachtet und von ihnen nur noch eine richtige Gesinnung verlangt und sonst nichts bietet? «Essen und Liebe», diese, wie Sigmund Freud meinte, «wichtigsten Triebkräfte des Menschen», müssen im Zentrum jeder politischen Linken stehen.

Auch die ProtagonistInnen der Arbeiterbewegung waren nicht fortschrittlich, bevor ihnen von der kommunistischen Theorie Fortschrittlichkeit unterstellt worden war. Kein Kind ist autonom, bevor ihm von den Erwachsenen Autonomie unterstellt wird. Keine Rednerin ist begnadet, bevor ihr nicht von der Zuhörerschaft Wissen unterstellt wird usw. Natürlich trägt mancher Bürger einen Sexismus, manche Bürgerin einen Rassismus mit sich herum, aber sie wollen gelegentlich auch verstehen und helfen oder wünschen sich Glück für andere. Sollte die Linke also nicht versuchen, den Protestwählern in der Analyse dieser Wahlen soziale und kritische Motive zu unterstellen? Wächst dann nicht die Chance, dass sie auch später hier sensibel sind? Die Linke sollte sich wieder vermehrt als die Kraft etablieren, die den Menschen optimistisch Solidarität und Kampfbereitschaft zuschreibt, statt ständig das Fehlen derselben zu beklagen. Denn wie man ins Volk hineinruft, so ruft es heraus. Ein Mann, der genau weiss, dass man weder die Härte und Destruktivität eines Lebens unter schwierigen Verhältnissen beschönigen sollte, noch verschweigen, dass auch zuunterst Zärtlichkeit und Gerechtigkeit sich entfalten können, ist der Musiker und Schriftsteller Willy Vlautin, der kürzlich mit seiner Band Richmond Fontaine in der Schweiz zu Gast war. Man lese seine Romane und höre seine Songs.

Vielleicht sollte man daher etwa so sprechen: Viele Amerikanerinnen und Amerikaner haben Trump gewählt:

Nicht nur wegen seiner Lügen, sondern auch trotz seiner Lügen. Denn dass Worte und Versprechen in der Politik nicht viel taugen, wissen sie aus Erfahrung. Zu oft sind sie schon verraten worden, zuletzt von Barack Obama, dem wohl glaubwürdigsten Redner des 21. Jahrhunderts, der gleich zu Anfang seiner Regierungszeit, sein Versprechen, die Macht der Wall Street Banken zu brechen, verraten hat. Und zwar nicht, weil er es versucht hätte, aber zu schwach war, sondern indem er an vielen Stellen dieselben Leute, die alles zu verantworten hatten, wieder in ihre Ämter eingesetzt hat. Wieso sollte man folglich nicht mal einen Mann wählen, von dem man schon immer wusste, dass er nicht wahr redet, um die Enttäuschung mit der Überraschung zu vertauschen?

Nicht nur wegen seines Reichtums, sondern auch trotz seines Reichtums. Natürlich wissen sie, dass Trump keiner von ihnen und wohl kaum einer für sie ist. Aber seinen Reichtum hat er irgendwie auswärts erworben. Und somit ist er vielleicht auch keiner von denen, für die die Clintons stehen, vor allem Bill, der durch seine Liberalisierungen des Bankensektors massgeblich zum Finanzdesaster von 2008 beigetragen hat. Es besteht darum die (freilich stark illusorische) Hoffnung, dass er durch seinen Narzissmus, seine Unberechenbarkeit, seinen Eigensinn manchmal auch kein Präsident für diese Elite ist.

Nicht nur wegen seiner Unwissenheit, sondern auch trotz seiner Unwissenheit. Die Unwissenheit Trumps ist arrogant und gefährlich. Doch haben nicht viele AmerikanerInnen gelernt, dass dies auch für das Wissen zutrifft? War nicht gerade Obama manchmal eine Art Hamlet, ein überaus kluger Zauderer, der aber dadurch vor allem aussenpolitisch oft den falschen Zeitpunkt und den falschen Dreh zum Handeln gewählt hat?

Und so wurde Trump gewählt nicht nur wegen seiner Vorschläge, nicht nur wegen seiner Frauenfeindlichkeit, nicht nur wegen seiner Fremdenfeindlichkeit, sondern auch trotz alledem. Und in diesem guten alten linken «Trotz alledem» liegt der Hebel für die Linke, diese BürgerInnen anzusprechen. Die Wut gegen die Alternativlosigkeit war jedenfalls grösser als die Faszination gegenüber Trump, die Hoffnung auf seine Unberechenbarkeit grösser als auf sein Programm.

«Lets shake up the system», sagten sich viele. Doch man muss um zu schütteln eben nehmen, was man im Moment kriegen kann. Statt eines bekömmlichen Litschi-Smoothies, gibt’s nun leider erstmal Trumpmix, gut geschüttelt und gerührt. Es braucht viel Geduld und Beharrlichkeit, daraus einst wieder reinen Wein zu machen.


* Zuerst erschienen auf: www.saiten.ch.


Rolf Bossart, geb. 1970, Dr. theol., ist Publizist, Lehrer für Religionswissenschaft, Psychologie und Pädagogik. Er ist Mitarbeiter beim International Institute of Political Murder und Redaktor bei theoriekritik.ch.




One Comment

  1. Anzufügen wäre noch die Aufregung der sogenannten
    Liberalen und Linksliberalen die eine Demokratie in
    Gefahr sehen , die schon längst aufgehört hat zu
    existieren . Wenn man die US Aussenpolitik einbezieht , beziehungsweise alle ihre
    Hinterhöfe die sie kontrolliert , die jetzt in den
    USA selber endgültig angekommen sind , dann
    ist für diese Kreise das Wort Heuchelei das einzig
    passende .

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